Kommentar

Italiens "dunkelste Stunde"

Eine Frau am Dienstag in Catania
Eine Frau am Dienstag in CataniaREUTERS
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Die Regierung fordert von ihren Bürgern Unvorstellbares: Hoffentlich ist Rom dieser Verantwortung gewachsen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf, und Sie erfahren plötzlich, dass Sie ihren Wohnort nicht mehr verlassen dürfen. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten und haben zwei Kinder, die seit Wochen nicht mehr die Schule besuchen. Stellen Sie sich vor, Sie müssen Teenagern Hausarrest verordnen - weil sie ansteckend sein könnten. Oder Sie gehören zu der gefährdeten Corona-Altersschicht – und ihre Kinder sind weit weg, im Ausland. Und Sie wissen: Sie dürfen nicht krank werden, weil Sie alleine, die Krankenhäuser überfüllt und die Ärzte überfordert sind. Stellen Sie sich vor, Sie werden Tag und Nacht mit Nachrichten über steigende Zahlen von Virus-Opfern bombardiert. Und Sie erfahren, dass Sie in immer weniger Ländern willkommen sind - jetzt auch in Österreich nicht mehr.

Was Italiener dieser Tage erleben, ist einzigartig. Noch nie zuvor hat eine westliche Demokratie eine derart radikale Entscheidung getroffen und sich selbst isoliert. Die allermeisten Italiener erdulden diese drakonischen Schritte ihres Staates mit einer bisher bewundernswerten Geduld. In der Hoffnung, das derzeit nicht absehbare Ende des Corona-Albtraums doch noch beschleunigen zu können. Und in vielen Fällen aus Rücksicht vor den Großeltern, den älteren Nachbarn oder Freunden.

Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, über die vielen Fehler zu sprechen, die im Zuge der italienischen Corona-Krise gemacht worden sind: die verwirrende Kommunikationsstrategie, die anfängliche Banalisierung und spätere Dramatisierung, die schlechte Vorbereitung sowie Überlastung des Gesundheitssystems und der Sicherheitsbehörden, der offen ausgetragene Streit zwischen Regierung und Regionalpräsidenten. Heute sollte man vor allem hoffen, dass Premier Giuseppe Conte und seine Koalition durch die Krise gereift sind. Und diese enorme Bürde, die sie ihren Bürgern auflasten, auch wirklich zu tragen wissen. Conte sprach zugespitzt von der "dunkelsten Stunde" Italiens nach dem Krieg. Hoffentlich erweist er sich seines Vorbilds Winston Churchill würdig.

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