Von Lockjuden und Friedensschiffen

Um die Stimmen von 200.000 in Wien lebenden Muslimen abzukassieren, macht Michael Häupl einen auf Karl Lueger light.

Wenn Israel die Schiffe einer angeblichen „Friedensflotte“ mit Verbindungen ins terroristische Milieu entert, beschließt der Wiener Gemeinderat – eine bekanntlich außenpolitisch weltweit renommierte Institution – sofort eine superknallharte Resolution gegen den Judenstaat. Michael Häupl auf den Spuren Karl Luegers, sozusagen.

Wenn hingegen in der belgischen Stadt Antwerpen der gewalttätige Antisemitismus derart ansteigt, dass die dortige Tageszeitung „Staandard“ schreibt: „Die Juden verlassen Antwerpen“, dann ist das dem Wiener Gemeinderat nicht einmal eine Silbe der Entrüstung wert.

Man muss das irgendwie verstehen: Während die Stimmen der paar tausend Juden in Wien bei den kommenden Wahlen völlig irrelevant sind, leben fast 200.000 Muslime in der Stadt; ein Milieu, dem Antisemitismus nicht gänzlich unbekannt ist. Was soll sich da der Wiener Gemeinderat ausgerechnet um die Juden in Antwerpen scheren, wenn er sich eh schon um die Palästinenser in Gaza so aufopferungsvoll kümmert?

Mit dieser Mischung aus übelkeiterregender Bigotterie und alberner Aufgeblasenheit sind die Provinzpolitiker aller Fraktionen im Wiener Rathaus freilich nicht allein in Europa; ganz im Gegenteil. Verlogen an den Gedenkstätten für die toten Juden ein rituelles „Wehret den Anfängen“ & „Nie wieder Faschismus“ absondern, aber seelenruhig dabei zuzusehen, wie an vielen Orten in Europa ein in vielen Fällen migrantischer Mob lebende Juden bedrängt, ist eine in Europa verbreitete Haltung.

Deshalb juckt es die außenpolitischen Kapazunder im Wiener Rathaus natürlich auch nicht die Bohne, dass etwa im holländischen Fernsehen jüngst zu sehen war, wie drei orthodoxe Juden von jungen Herren mit Migrationshintergrund angespuckt, beschimpft und mit dem Rat versehen wurden, die „Drecksjuden“ mögen sich „in ihre Heimat scheren“, begleitet vom Hitler-Gruß. Derartige Vorfälle sind in Antwerpen so häufig, dass die dortige Polizei jetzt „Lockjuden“ einsetzt, um der Täter habhaft zu werden. Dass mittlerweile viele Juden Antwerpen verlassen und nach London emigrieren, ist dem Wiener Gemeinderat natürlich ebenso schnuppe, schließlich ist er ja vor allem für die reibungslose und unbürokratische Versorgung von Gaza City mit Heimwerker-Materialien auf dem Seeweg verantwortlich.

Wenn Juden aus Kontinentaleuropa nach London ins Exil gehen, weil sie sich hier nicht mehr sicher fühlen, dann ist das kein gutes Zeichen für die Freiheit in Europa. Und wenn sich der Wiener Gemeinderat gleichzeitig als Schutzmacht jenes Gazastreifens geriert, von dem aus jahrelang Israel mit Raketen beschossen worden ist, um ein paar Migrantenstimmen einzusacken, ist heftiger Brechreiz nur schwer zu unterdrücken.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

christian-ortner@chello.atwww.ortneronline.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2010)

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