Causa Yukos: Minister entlasten Chodorkowski

Causa Yukos Minister entlasten
Causa Yukos Minister entlasten(c) AP (MISHA JAPARIDZE)
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Im größten postsowjetischen Justizskandal sagten hochrangige Staatsvertreter zugunsten des seit 2003 inhaftierten Multimilliardärs Michail Chodorkowski aus. Wie es mit ihm weitergeht, bleibt offen.

Moskau. Kam im Juni nun die Wende oder fand doch nur ein abgekartetes Spiel zur Irreführung der Öffentlichkeit statt? Zu Beginn des Folgemonats rätselt die russische Öffentlichkeit immer noch im Verein mit Russlandinteressierten in der ganzen Welt über das, was vor wenigen Tagen in Moskau vor sich ging.

Gleich drei Ereignisse rund um die Causa des vor fünf Jahren zerschlagenen Ölkonzerns Yukos und seines seit 2003 inhaftierten Ex-Chefs, des Multimilliardärs Michail Chodorkowski, sorgen für Aufsehen. Dies umso mehr, als sie bislang trotz ihrer eigentlichen Selbstverständlichkeit als unerhört galten.

„Kein Öldiebstahl“

Keine Geringeren als German Gref, Ex-Wirtschaftsminister und nun Vorstandschef der größten russischen Bank „Sberbank“, sowie Viktor Christenko, derzeit Industrieminister, wurden als Zeugen zum größten postsowjetischen Gerichtsprozess zugelassen.

Als bisher höchstrangige Zeugen und Eingeweihte in die einstigen Konzernaktivitäten sagten sie, nichts vom großflächigen Öldiebstahl durch den 2003 verhafteten Chodorkowski zu wissen, und bestätigten die von Yukos zwischen 1998 und 2003 festgelegten Verkaufspreise als marktgerecht. Die Staatsanwaltschaft hatte mit ihren gegenteiligen Behauptungen seit Beginn des zweiten Prozesses im Vorjahr für Verblüffung gesorgt und die Vermutung verstärkt, dass die ganze Causa politisch motiviert und hier ein Anklagepunkt konstruiert worden ist, um Chodorkowski weiter hinter Gittern zu halten. Im ersten Prozess war der heute 47-Jährige nämlich wegen Betrugs und Steuerhinterziehung für Erdöl, das er laut zweiter Anklage gestohlen habe, zu acht Jahren Haft verurteilt worden.

Schon Anfang Juli hat der Ex-Zentralbankpräsident und spätere Yukos-Aufsichtsratschef Viktor Geraschenko die Diebstahlsvorwürfe als „blanken Schwachsinn“ bezeichnet, da andernfalls schwer zu erklären sei, dass Yukos Russlands größter Konzern war und der US-Konzern ExxonMobile sich mit 40Mrd. Dollar (32,5 Mrd. Euro) bei ihm habe einkaufen wollen.

Allein dass Gref und Christenko zugelassen wurden, während die von der Verteidigung gewünschte Vorladung von Premier Wladimir Putin und Vizepremier Igor Setschin blockiert wird, gilt als Sensation. Dazu der Umstand, dass mit Wasili Aleksanjan der an Krebs und Aids erkrankte Ex-Vizepräsident von Yukos nun freigelassen wurde.

Schon sehen manche Beobachter eine neue Ära angebrochen, die sie mit dem von Kreml-Chef Dmitri Medwedjew propagierten Modernisierungsimage verbinden, gilt doch der Prozess gegen Chodorkowski auch hinsichtlich des Investitionsklimas als Prüfstein für Rechtsstaatlichkeit und Investitionssicherheit.

Allein, viele russische Kommentatoren bleiben vorsichtig: Putin selbst, der dem einstigen Top-Milliardär angeblich wegen seiner Finanzierung der Opposition feind wurde, ist bis heute alles andere als gut auf ihn zu sprechen. Erst vor einem Jahr lastete er ihm indirekt Auftragsmorde an und verglich ihn mit dem Mafiaboss Al Capone.

Wende oder Ablenkung?

Die ersten Schwalben Gref und Christenko müssen daher noch nicht unbedingt einen Sommer machen. Sie könnten auch nur pragmatisch vom fortwährenden Winter ablenken, um in Straßburg gute Stimmung zu erzeugen. Im größten Verfahren des dortigen Menschengerichtshofs nämlich klagen Yukos-Aktionäre Russland auf 98 Mrd. Dollar Kompensation für die Enteignung des Konzerns.

Dessen Großteil landete nämlich beim staatlichen Ölkonzern Rosneft. „Rosneft hat diese Aktiva gekauft“, erklärte Setschin, angeblich Mastermind hinter der Causa Yukos und KGB-geschulter Aufsichtsratschef bei Rosneft, kürzlich im Interview mit der „Financial Times“. Die Aktiva seien nach marktwirtschaftlichen Methoden bewertet worden. Ein Gericht in den Niederlanden verdonnerte Rosneft dennoch soeben zu einer Schadenersatzzahlung von 416 Mio. Dollar an eine Yukos-Tochter.

auf einen Blick

Überraschung im Fall Yukos. Der frühere Wirtschaftsminister German Gref und Industrieminister Viktor Christenko stärken Ex-Yukos-Chef Chodorkowski den Rücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2010)

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