Sondersitzung

Wien will Rothschild-Erbe prüfen

Die Stiftung führt am Rosenhügel im 13. Bezirk ein neurologisches Zentrum.
Die Stiftung führt am Rosenhügel im 13. Bezirk ein neurologisches Zentrum.(c) imago/viennaslide
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Wie geht Wien mit seinem jüdischen Erbe um? Soll die Rothschild-Stiftung für Nervenkranke wieder ein eigenes Kuratorium bekommen? Dies sollen nun (auch) Experten klären.

Wien. Bei der von den Neos beantragten Landtagssondersitzung zum Thema Rothschild-Stiftung waren Zuschauer am Donnerstag nicht zugelassen. Der Grund, mit einem Wort: Corona. Also debattierten die Abgeordneten eben ohne Beobachter die Frage, wie Wien mit der Rothschild-Stiftung umgehen solle. Mit jener Stiftung, die am Rosenhügel im 13. Bezirk ein neurologisches Zentrum führt.

Schlussendlich kam man zu einem Beschluss, der zwar unmittelbar wenig Konkretes hergibt – mit dem aber die Mehrheit der Abgeordneten gut leben kann: Eine Expertenkommission möge eingerichtet werden. Diese solle die Geschichte der Stiftung erforschen. Auf den Antrag, diese Kommission einzurichten, verständigten sich alle Parteien – bis auf die FPÖ. Initiator des Antrags: der ÖVP-Rathausklub. Adressat desselben: der Wiener Landtag.

Eine Rekordsumme

Nun also auch noch eine Kommission. Das Bezirksgericht Hietzing befasst sich bereits mit der Sache. Das Landesverwaltungsgericht wird dies bald tun. Und im Rathaus ist das Therma auch endgültig angekommen. Mehr oder weniger. Während unter den mächtigen Lustern des historischen Sitzungssaals die Redner aus ihren Manuskripten vortrugen, war kaum ein Abgeordneter auszumachen, der sich nicht mit seinem Handy beschäftigte (was wiederum dem Thema „Corona“ geschuldet sein mochte). Darum geht es: Nathaniel Freiherr von Rothschild (1836–1905), Spross der Wiener Linie der jüdisch-großbürgerlichen Rothschild-Dynastie, verfügte testamentarisch, dass 20 Millionen Kronen in eine Stiftung fließen mögen. Diese Stiftung solle mildtätig sein und mittellosen Menschen, die an Nervenkrankheiten leiden, eine Behandlung ermöglichen. 20 Millionen Kronen entsprechen nach heutigen Maßstäben einem Wert von 120 bis 140 Millionen Euro. Der Sozialgeschichtler Roman Sandgruber schreibt in seinem Buch „Rothschild – Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“: „Es ist mit 20 Millionen Kronen mit ziemlicher Sicherheit die größte Einzelspende, die in Österreich jemals gemacht worden ist.“

Tatsächlich wurden zwischen 1912 und 1914 die Nervenheilanstalten am Rosenhügel und jene im Maria-Theresien-Schlössel (19. Bezirk) in Betrieb genommen. Erstere besteht – freilich in moderner Form – bis heute. Der medizinische Betrieb des Schlössels wurde 2002 ins Otto-Wagner-Spital transferiert. Die frei gewordene Liegenschaft wurde um 6,7 Millionen verkauft. Und zwar so: Die mit Machtergreifung der Nazis aufgelöste, 1956 durch die Stadt Wien wieder errichtete und seither vom Wiener Magistrat verwaltete Stiftung verkaufte die Liegenschaft an die Stadt Wien. Um 6,7 Millionen Euro. Ein Insichgeschäft, könnte man sagen.

Voriges Jahr trat der New Yorker Rothschild-Nachfahre Geoffrey R. Hoguet auf den Plan. Er ist der Urenkel von Albert Freiherr von Rothschild (1844–1911) – ebendieser hatte den letzten Wunsch seines Bruders Nathaniel erfüllt und 1907 die Stiftung gegründet. Hoguet verlangt von Wien die Wiedereinsetzung eines Stiftungskuratoriums, welches mit Vertrauten seiner Familie, zwei Vertretern des Landes Niederösterreich und einem Vertreter Wiens besetzt werden solle (dieses Verlangen beschäftigt nun auch die Gerichte).

Das sei nicht so einfach, sagte zuletzt die Stadt: Schließlich fließe viel öffentliches Geld in das Krankenhaus am Rosenhügel. Da könne man die Stiftungsverwaltung nicht in private Hände geben. „Wien hat sehr viel in die Stiftung hineingesteckt“, erklärte nun auch der SPÖ-Abgeordnete Kurt Stürzenbecher bei der Sondersitzung. Nachsatz: „Auf Kosten der Steuerzahler.“ Man müsse wissen, so hatte die Stadt im Vorfeld erläutert, dass das ursprüngliche Vermögen der Stiftung in k. u. k. Bahngesellschaftsobligationen beim seinerzeitigen Bankhaus Rothschild angelegt worden sei. Und nach dem ersten Weltkrieg hätten diese Papiere ihren Wert verloren.

Es gehe nicht nur ums Geld, mahnte nun der ÖVP-Mandatar Wolfgang Ulm. Es stelle sich auch die Frage: „Wie schaut es mit dem Respekt vor den Vertriebenen des Nationalsozialismus aus?“ Ja, es habe nach dem zweiten Weltkrieg eine Restitution der Stiftung gegeben. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob diese ihre Namen verdient.“

FPÖ-Hilfe für die SPÖ

„Wir wünschen uns nur das beste Einvernehmen mit der Familie Rothschild“, gab Stürzenbecher zurück. Der Vertreter des grünen Koalitionspartners, Martin Margulies, assistierte: „Der Stiftungszweck wird durch den Krankenanstaltenverbund ganz hervorragend erfüllt.“ Seitens der FPÖ tat Leo Kohlbauer etwas für ihn Seltenes. Er nahm den roten Gesundheitsstadtrat, Peter Hacker, in Schutz. Wenn diesem vorgeworfen werde, er habe zuletzt „antisemitische Codes“ verwendet, so sei dies verfehlt. „Auch wenn Hacker vielleicht kein Sympathieträger ist.“

Der Angesprochene gab nach der Sitzung bekannt: „Die Stadt bekennt sich zum Erbe von Nathaniel Freiherr von Rothschild.“ Und: Es müsse nicht vor Gericht gestritten werden. Man könne ja reden.

AFFÄRE ROSENHÜGEL

In den 1980er-Jahren gab es bereits die Affäre Rosenhügel, in der es um die Frage eines Stiftungskuratoriums im Sinne des Gründers ging. Der Anwalt Michael Graff wurde als Kurator der Stiftungsbegünstigten eingesetzt. 1987 zog Graff einen Antrag auf Bestellung eines solchen Kuratoriums zurück. Und gestand zu: Das Stiftungsvermögen werde zweckdienlich verwendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2020)

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