Eine Ansicht des Neuen Markts, Wien.
Die Welt bis gestern

Als Wien Hausnummern bekam

Im Wien Maria Theresias wurden vor 250 Jahren erstmals Hausnummern an die Wände gemalt. Eine neue Kontrolltechnik des Staates? Der Verdacht war nicht unbegründet.

Versetzen wir uns in die Perspektive eines Beamten der frühen Neuzeit. Da gibt es den sich gerade formierenden Staat und den Untertan, der hinter den Mauern seines Hauses lebt, abgeschottet von der Außenwelt und dem staatlichen Zugriff entzogen. Wie ein monolithischer Block erscheint das Haus, es kann Reichtümer und Ressourcen in sich bergen, an Gütern und Personen, die sich der systematischen Erschließung versperren. Doch die Steuer- und Militärbehörden brauchen Einblick und Zugriff. Ohne Adressierungssystem, also ein Hausnummernsystem, kann die Behörde die Häuser nicht erfassen und daher auch nicht auf das Potenzial, das in ihnen steckt, zugreifen. Es kann nicht angehen, dass der Staat angewiesen ist auf lokales Wissen und mündliche Auskünfte. Was nützt ihm die Auskunft, das Haus trage den Namen „Zum Goldenen Adler“? Solche Namen gab es wahrscheinlich Hunderte im Land, allein sechs in der Wiener Innenstadt.

Wie viel mehr Klarheit und Sachlichkeit bedeutet da eine Blechtafel mit einer Nummer darauf oder eine Inschrift mit unabwaschbarer Farbe. Auf einmal werden die Mauern des Hauses für Steuereintreiber, „Policey“ und Rekrutierungsoffiziere transparent. Plötzlich wird das Haus getrennt betrachtet von den in ihm wohnenden Menschen. Wie mit feinmaschigen Waben wird der Raum in kleine Abschnitte gegliedert. Ein Sieg der Verwaltung, ein Verlust an Autorität für die Bewohner, allein durch eine Nummer!

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