Börse

Chaostage an den Finanzmärkten

Am Donnerstag stürzte die Wall Street so schlimm ab wie seit dem Jahr 1987 nicht mehr. Am Freitag kam es zu einer starken Gegenbewegung nach oben. Die Angst der Investoren ist noch längst nicht vorbei.

Wien. Am Donnerstag konnte Anleger nicht einmal diese Zahl beruhigen: 1,5 Billionen Dollar. So viel will die amerikanische Notenbank dem US-Finanzsystem injizieren. Geld, das man den Banken zur Verfügung stellen wird, um für ausreichend Liquidität unter den Kreditinstituten zu sorgen. Außerdem wird man im Rahmen monatlicher Wertpapierkäufe eine breite Palette von Anleihen erwerben. Die Fed greift damit früher als geplant auf ihre Kriseninstrumente zurück.

Die Wall Street beeindruckte das jedoch nicht. Sie ging am Donnerstag mit dem schwersten Kursrutsch seit dem Börsencrash vom Oktober 1987 aus dem Handel. Schon zuvor hatten die europäischen Börsen zu einer Talfahrt angesetzt. US-Präsident Donald Trump hatte einen Einreisestopp für Europäer in die USA verhängt.

Die Börsen der großen westlichen Industriestaaten befinden sich derzeit in einem Bärenmarkt. Von einem solchen spricht man, wenn die Kurse seit ihrem Höchststand um 20 Prozent gefallen sind. Unterbrochene Lieferketten, Gewinnwarnungen, Mitarbeiter, die in Kurzarbeit geschickt werden, und die Angst vor Firmenpleiten treibt die Anleger um. Diese blickten am Donnerstag deshalb auch gespannt auf die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese hielt an ihren bisherigen Schlüsselzinssätzen fest, kündigte aber Geldspritzen für Banken zu günstigen Konditionen an. Das Ziel dahinter: Kleinen und mittleren Unternehmen soll so bei Finanzierungsengpässen geholfen werden.

(C) Die Presse

Obwohl die EZB ihr Anleihenkaufprogramm um 120 Mrd. Euro bis Jahresende aufstocken will, wuchs der Verkaufsdruck auf südeuropäische Anleihen. Die Rendite italienischer zehnjähriger Staatspapiere ist derzeit so hoch wie seit dem August des Vorjahres nicht mehr. Europas drittgrößte Volkswirtschaft ist derzeit besonders stark von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen. Aussagen von Italiens Notenbankchef, Ignazio Visco, wonach die EZB ihre Anleihekäufe bei Bedarf vorziehen könne, nahmen am Freitag wieder etwas Druck von den Papieren.

Aussicht auf Staatshilfen

Auch an den Börsen standen die Zeichen auf Grün. Die Wall Street ging mit deutlichen Gewinnen in den Handel. Anleger hofften auf ein Konjunkturpaket der US-Regierung und eine weitere Zinssenkung in der kommenden Woche, um die Wirtschaft zu stützen. Die deutsche Bundesregierung wiederum sicherte betroffenen Unternehmen schon am Freitag Hilfen in unbegrenzter Höhe zu (siehe Bericht Seite 16). Auch ein Konjunkturprogramm ist nicht mehr denkunmöglich.

Der Frankfurter Leitindex konnte zum Wochenausklang zwischenzeitlich um acht Prozent zulegen, beim ATX ging es ebenso steil nach oben. Im Tagesverlauf schwächten sich die Gewinne aber deutlich ab. Händler sprachen von einer technischen Gegenbewegung, die auf die enormen Verluste der vergangenen Woche folgte. Spekulative Anleger, die im Crash auf weiter fallende Kurse (Leerverkäufe) gesetzt hätten, würden vor dem Wochenende nun ihre sogenannten Short-Positionen schließen. Beim Short Selling (Leerverkauf) leihen sich Investoren Aktien, um diese sofort zu verkaufen. Sie setzen darauf, dass sie sich bis zum Rückgabe-Termin billiger mit den Papieren eindecken können. Die Differenz streichen sie als Gewinn ein.

Verbot von Leerverkäufen

Nachdem die Kurse an der Mailänder Börse am Donnerstag aber um 17 Prozent eingebrochen sind, hat Italiens Finanzmarktaufsicht Consob ein Leerverkaufsverbot auf die Aktien von 85 Unternehmen verhängt. Zu den betroffenen Firmen zählen unter anderem UniCredit, Intesa Sanpaolo, Eni und Enel. Auch in Spanien wurde den Leerverkäufen von 69 Firmenaktien ein Riegel vorgeschoben, um einen Massenverkauf zu verhindern. Die Regelung gilt für alle Papiere, die am Donnerstag mehr als zehn Prozent nachgegeben haben, und alle illiquiden Aktien, die um mehr als 20 Prozent gefallen sind.

Die Deutsche Börse verzichtete auf solche Maßnahmen. Der Chef der Wiener Börse, Christoph Boschan, zeigte sich am Freitag wiederum offen für eine Ausweitung der Regelung, allerdings nur koordiniert auf europäischer Ebene. In der EU gibt es bereits ein generelles Verbot von ungedeckten Leerverkäufen. Bei diesen verkaufen Händler Papiere, die sie nicht einmal geliehen haben.

Wie unentspannt die Lage nach wie vor ist, zeigt allerdings der Fear-&-Greed-Index (Angst & Gier) von CNN. Auf einer Skala von null bis 100 (extreme Gier) liegt der Zeiger bei vier. Der Volatilitätsindex VIX, der die Schwankungen an der Wall Street misst und als Angstindikator gilt, hat derzeit einen neuen Höchststand erreicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.