Kulturerbe Europa

Kunst spielt große Rolle bei Konfliktbewältigung

Gesellschaftliche Kontroversen sollen sichtbar gemacht und genutzt werden. In dem kürzlich beendeten EU-Projekt „Traces“ zur Konfliktforschung wird Kunst und Kultur ein höherer Stellenwert eingeräumt.

Konflikte sind völlig normal, sie sind Teil des Zusammenlebens von Menschen. Das sagt auch der Kulturanthropologe Klaus Schönberger. Das konfliktbeladene Kulturerbe Europas stand im Fokus des eben abgeschlossenen EU-Projekts „Traces“ (Transmitting Contentious Cultural Heritage with the Arts), bei dem zwölf Partner bzw. Partnerinstitutionen aus zehn Ländern teilnahmen. Die Initiative dazu ist von Schönberger, der das Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt leitet, ausgegangen – wobei neben wissenschaftlichen Institutionen auch Kunstschaffende eingebunden waren. Denn Kunst und Kultur, so der Initiator, spielten bei der Konfliktbewältigung eine große Rolle.

Das Projekt stellt sich der Herausforderung, mit jenem kulturellen Erbe umzugehen, das auch im heutigen Europa als konfliktbeladen wahrgenommen wird und dessen Vermittlung, Darstellung oder Repräsentation unterschiedliche Konflikte hervorrufen kann. Zu den Forschungsschwerpunkten Schönbergers zählen Kulturanthropologie, historische Anthropologie und Cultural Heritage (Kulturerbe).

Gräben akzeptieren

Die Projektteilnehmer gehen von einem in sich komplexen, vielschichtigen und widersprüchlichen Kulturerbe Europas aus. Kontroversen haben die europäische Geschichte ständig geprägt. Das betrifft das Zusammenleben einer Minderheit mit der Mehrheit wie in Südkärnten, den Zwiespalt zwischen unterschiedlichen Volksgruppen wie in Flandern oder die religiösen Auseinandersetzungen wie in Nordirland. Aber auch im europäischen Denken bezüglich anderer Weltgegenden besteht vielfach ein (unbewusstes) Konfliktpotenzial. Schönberger verweist hier auf ein noch vorhandenes postkoloniales Denken, das auf die koloniale Hegemonie Europas in den vergangenen Jahrhunderten zurückzuführen ist.

Die so oft verwendete Formel, dass man nämlich Gräben zuschütten müsse, lehnt der Klagenfurter Kulturanthropologe strikt ab. Man müsse vielmehr akzeptieren, dass andere Menschen auch andere Interessen und daher auch andere Positionen haben. „In einem Gemeinwesen gibt es Kontroversen und unterschiedliche Perspektiven, und diese gehören auch zu einem Gemeinwesen.“ Es gehe nicht um eine „europäische Identität“ – ein Begriff, mit dem Schönberger nichts anfangen kann –, sondern um eine „europäische Idee“ bzw. „Imagination“, bei der Konflikte durchaus eine Rolle spielen. Europa sei „ein Europa der vielen“, der Anspruch einer gemeinsamen Idee sei unrealistisch.

Das EU-Projekt stellte sich der Herausforderung, mit dem konfliktbeladenen Erbe umzugehen, die Kontroversen mit dem Einsatz von Kulturinitiativen „produktiv zu machen“. Konflikte werden nicht als etwas Ausgrenzendes gesehen. Zentrales Element sind sogenannte Creative Co-Productions, das sind multidisziplinäre Teams. Kunst- und Kulturschaffende, Wissenschaftler und im Kulturbereich tätige Institutionen sollen versuchen, mit neuen Mitteln und neuen Wegen das konfliktbeladene Erbe zu vermitteln. In einem im nordirischen Belfast durchgeführten Projekt sei dies auch gelungen. Nicht Politiker, sondern Künstler hätten da mit ihren Kommunikationskanälen ehemals verfeindete Gruppen zusammenführen können. Die Kunst könne, so Schönberger, „über die Sprache hinaus Brücken schlagen“.

Das mit 2,4 Millionen Euro dotierte EU-Projekt lief für einen Zeitraum von drei Jahren. Im Herbst dieses Jahres soll als Abschluss ein stattliches Kompendium über die Arbeit und über Strategien zur gegenseitigen Akzeptanz des europäischen Kulturerbes erscheinen – inklusive wissenschaftlicher Fallstudien, in denen mit neuen kommunikativen Möglichkeiten das überlieferte Kulturgut in künstlerischer Weise aufbereitet wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2020)

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