Leitartikel

Wir haben eine große Verantwortung

Touristinnen am Freitag beim Burgtor in Wien.
Touristinnen am Freitag beim Burgtor in Wien.(c) REUTERS (LISI NIESNER)
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Es ist keine Grippe. Es herrscht keine Ausgangssperre. Es gibt keinen Grund, den nächsten Supermarkt zu stürmen. Es gibt aber auch keine persönliche Freiheit, eine Ansteckung mit dem Coronavirus herauszufordern. Jetzt kommt es auf unsere Vernunft an.

Hinweis: Dieser Kommentar ist ursprünglich als premium-Artikel erschienen. Aufgrund zahlreicher Bitten, An- und Nachfragen von Lesern, wurde er nun für alle frei zugänglich gemacht. Wir bitten um Verständnis.

Wie stark und gut eine Gesellschaft ist, zeigt sie nicht in guten Zeiten, nicht bei Schönwetter, nicht in der Harmlosigkeit. Sie beweist sich in der Krise. In dieser befinden wir uns gerade, in den kommenden Tagen und Wochen wird sich der Zustand unseres Landes, unserer Stadt, unserer Welt leider noch weiter verschlechtern. Wir befinden uns in einer völlig neuen Situation, der Pandemie. Was vorgestern noch als Problem, Konflikt oder Sorge galt, tritt angesichts von Hunderten Infizierten, zu erwartenden Todesfällen, geschlossenen Schulen, einer taumelnden Wirtschaft und dem generellen Stillstand unseres Gesellschaftslebens in den Hintergrund. Unsere westliche, urbane Welt ist zerbrechlich, wie wir leider gerade feststellen. Was als lokaler Virusinfekt in einer chinesischen Stadt begann, hat sich zu einer weltweiten Pandemie entwickelt, deren eigentliche Gefahr in der hohen Ansteckungsrate liegt. Oder anders: Deren schnelle Ausbreitung zu einer Überforderung unseres Gesundheitssystems führen kann, was wiederum mehr Todesopfer und Leid bedeuten würde.

In China, in Taiwan und wohl auch in Südkorea war es möglich, mit mehr oder weniger harten polizeistaatlichen Methoden und einer dazu passenden kollektiven Disziplin Corona einigermaßen einzudämmen. In den danach betroffenen westlichen Ländern wie Italien wurden einschränkende Maßnahmen zu spät getroffen. Zumal ein Spaziergang durch das frühlingshafte Wien oder Innsbruck in den vergangenen Tagen leider jedem vor Augen führte: Auch in Österreich sind solche Maßnahmen notwendig, die Aufrufe zur Vernunft, also zur Eindämmung sozialer Kontakte, verhallten bei vielen ungehört. Die Schanigärten und Parks waren voll, Abstand hielt kaum jemand. Die Grenzen zwischen Unbedarftheit, Unbekümmertheit und grober Fahrlässigkeit sind fließend, aber da es um Menschenleben geht, bleibt der letzte Vorwurf.

Das passt auch zu den jüngsten Ereignissen, die eine echte Krise leider charakterisieren: Über soziale Medien und per Telefon wurde das zum jetzigen Zeitpunkt absurde Gerücht befördert, ab sofort gäbe es eine Ausgangssperre in ganz Österreich oder Wien. Solchen Schwachsinn zu verbreiten gehört zum Dümmsten und Gefährlichsten, was der Einzelne tun kann. Das gilt auch für die Gerüchte, Lebensmittel, Medikamente oder Bargeld würden knapp werden: Panisch solche zu kaufen und solches abzuheben macht dieses Szenario zwar realistischer, zeugt aber von Verantwortungslosigkeit und absurdem Herdenverhalten.

Bitte bleiben Sie vernünftig, und verhalten Sie sich nicht wie in einem schlechten Katastrophenfilm! Und weil wir schon dabei sind: Ja, auch viele Publizisten und selbst ernannte Experten haben diese Krankheit als Krise und politische Inszenierung verharmlost – ich erspare uns die entsprechenden „Jede Grippe ist viel schlimmer“-Zitate. Und ja, auch Journalisten wie ich, die gern über die Sparpotenziale im Gesundheitsbereich fabulierten, wünschten sich jetzt noch viel mehr Spitäler, Intensivmediziner, dazugehörige Betten und entsprechende Beatmungsgeräte. Wenn uns eine solche Ausnahmesituation etwas lehrt, dann Folgendes: Urteile und Analysen sind viel zu oft vorschnell formuliert. Häufig wäre ein „Wir wissen es zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch nicht“ nicht nur ehrlicher, sondern hilfreicher. Wir wissen einfach nicht, wie schlimm es noch wird.

Was wir aber ganz sicher wissen, ist, dass wir als Gemeinschaft besser fahren, wenn wir einander helfen. Vor allem aber, dass wir Ruhe bewahren und besonnen bleiben müssen. Das gilt für jeden, für Medien besonders. Und die Einschätzung, einem selbst könnte nichts passieren, man sei zu jung oder vital, kann zwar richtig sein, darf aber nicht zu einem gefährlichen, grob fahrlässigen Schluss führen – denn jede weitere Ansteckung vergrößert das Problem und gefährdet das Leben von Mitbürgern.

Es gilt, Großeltern und Eltern zu schützen. Die am Freitag in Kraft gesetzten Maßnahmen wie die abendliche Schließung von Lokalen sowie die Einrichtung roter Zonen besonders betroffener Gebiete wie Ischgl sind richtig. Dort hat das Krisenmanagement übrigens völlig versagt. Anders das Vorgehen der Bundesregierung, die bisher die richtige Mischung aus Entschlossenheit und Besonnenheit an den Tag legte.

Sollten Sie im fortgeschrittenen Alter sein, ein geschwächtes Immunsystem haben, darf ich Ihnen die dringende Bitte, nein, die Aufforderung aller Experten nahelegen: Bleiben Sie zu Hause, verzichten Sie auf Kontakte – auch zu Ihren Enkelkindern. Ein Land zeigt seine Stärken in den schwierigen Stunden, Tagen, Wochen, die nun vor uns liegen. Sie haben schon viele Krisen überstanden und gemeistert, nun machen wir das wieder.

E-Mails: rainer.nowak@diepresse.com

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