Glaubensfrage

Beschneidung der Religionsfreiheit: Ein Ausdruck von Verantwortung

Die Tage der leeren Gotteshäuser: Manchen wird es gar nicht auffallen, aber ab Montag werden keine Messen gefeiert, in den Moscheen wird auf das Freitagsgebet verzichtet. Geht das zu weit?

Ordner stehen vor den Eingängen in die Kirche, Zählkarten werden ausgegeben, die Übertragung der Messe erfolgt wegen Überschreitung der maximalen Kapazität der Kirche in andere Räume: Als ob Papst Franziskus höchstpersönlich gekommen wäre, so präsentieren sich an diesem denkwürdigen dritten Fastensonntag des Jahres 2020 die Pfarren in Österreich. Jede auf ihre Art.

Manche haben keine Probleme, weil sie die Höchstgrenze von 100 Personen für Indoor-Veranstaltungen ohnedies nicht (mehr) erreichen. Diese wurde von den Behörden wegen der Corona-Pandemie ja zunächst angeordnet. Ein Mal noch Messe feiern, diesmal mit der Erzählung von Jesus am Jakobusbrunnen als Evangelium – bis...wer weiß wie lang. Denn die Spitzenvertreter der Religionsgemeinschaften in Österreich haben sich nach einem Treffen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz am Ballhausplatz selbst dazu verpflichtet, auf Gottesdienste bis auf Weiteres zu verzichten. Die Muslime verzichteten schon zuletzt auf deren Freitagsgebet.

Die in Artikel 18 der UN-Menschenrechtskonvention garantierte Religionsfreiheit, die natürlich deren Ausübung inkludiert, wird damit einer schwerwiegenden Einschränkung unterzogen. Einer zu schwerwiegenden? Gibt es keine gelinderen Mittel? Geht der Verzicht auf öffentliche Gottesdienste durch die Religionsgemeinschaften zu weit? Immerhin gilt – um in Österreich die größte zu nennen – die Feier der Eucharistie als „Höhepunkt und Quelle des Handelns der Kirche“, wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil ausgedrückt wurde.

Nein, die in dieser From nie dagewesene Aktion ist Ausdruck der Verantwortung für die gesamte Gesellschaft. Sie ist auch Ausdruck dessen, dass die Situation für ernst gehalten wird, dass die Religionsgemeinschaften auch als Vorbild für die Allgemeinheit wirken wollen und wohl müssen. In einer Situation wie dieser beweist sich vielerorts beinahe unendlicher Erfindungsreichtum. Erst am Samstag haben die orthodoxen Kirchen in Österreich ihre Mitglieder angesichts des vorläufigen Verzichts auf gemeinsame Gottesdienste zu einer interessanten Aktion aufgerufen: Jeden Tag um 20 Uhr füreinander und Kranke zu beten, um auf diese Weise örtlich voneinander getrennt eine Form spiritueller Gemeinschaft zu bilden. Auch die anderen Kirchen bieten meist schon seit Längerem Möglichkeiten via Internet, Radio und teilweise TV an, Gottesdienste mitzufeiern.

Warum soll es denn nur virtuelle Arbeitsplätze im derzeit empfohlenen Home-Office geben! Fällt es unter das Redaktionsgeheimnis, wenn verraten wird, dass dieser Artikel (nicht erstmals) genau so entstanden ist? Funktioniert ja doch.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2020)

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