Israel

Die Stunde der Krisenmanager

Die Krise ist Benjamin Netanjahus Elixier.
Die Krise ist Benjamin Netanjahus Elixier.imago images/Wassilis Aswestopou
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Korruptionsprozess gegen Netanjahu verschoben. Regierungsbildung an Gantz.

Die Krise ist Benjamin Netanjahus Elixier – politisch, militärisch oder im Fall der Corona-Epidemie als Ausnahmezustand in einem Land, das permanent im Krisenmodus lebt. Kein Politiker versteht so geschickt Kapital aus Krisen und Katastrophen zu schlagen wie der längst dienende, trickreiche Regierungschef Israels, der nun zur Hochform aufläuft.
Doch Präsident Reuven Rivlin hat am Sonntagabend nicht ihn mit der Regierungsbildung beauftragt, sondern Oppositionsführer Benny Gantz. Rivlin, kein Fan seines Ex-Parteifreunds Netanjahu, ging dabei streng nach den politischer Kräfteverhältnissen vor: Netanjahus Likud-Partei errang als stärkste Kraft bei der Wahl vor zwei Wochen zwar 36 Mandate und sein Rechtsblock insgesamt 58 Sitze. Zur absoluten Mehrheit fehlen ihm aber drei Mandate.


Währenddessen erreichte Gantz mit seinem Blau-Weiß-Bündnis, den Linksparteien und den 15 Mandaten der Vereinigten Liste der israelisch-arabischen Parteien theoretisch eine Mehrheit. Auch Avigdor Lieberman, als Chef der rechtsnationalen Partei „Unser Haus Israel“ der Königsmacher im Ränkespiel in Jerusalem, unterstützt den Ex-Generalstabschef. Er hat maximal vier Wochen Zeit, eine Koalition zu formieren. Die Option einer Minderheitsregierung unter Duldung der Vereinigten Liste stand zur Debatte. Einige Blau-Weiß-Abgeordnete lehnen dies ab.


Am wahrscheinlichsten ist indes eine Regierung der nationalen Einheit – eine Notstandsregierung, wie sie auch Netanjahu vorschlägt, allerdings unter seiner Führung. Dies schloss Gantz bisher kategorisch aus. Rivlin hat die beiden Rivalen erfolglos dazu gedrängt.

Zehnwöchiger Aufschub

Am Sonntag überschlugen sich die Ereignisse in Jerusalem. Denn der Notstand verhalf dem Premier zunächst zu einer juristischen Pause von zehn Wochen für den Korruptionsprozess, der am Dienstag mit der Verlesung der Anklageschrift beginnen hätte sollen. Das Höchstgericht entschied, das Verfahren bis zum 24. Mai aufzuschieben.
Damit gewann der Premier Zeit. Im Herbst hatte der Generalstaatsanwalt Anklage gegen ihn in drei Punkten erhoben: Bestechung, Betrug und Untreue. Das Krisenmanagement des Premiers drängte den Prozess und die Regierungsbildung zuletzt in den Hintergrund. In der Corona-Krise glänzte Netanjahu mit TV-Auftritten, er sparte nicht mit dramatischen Appellen.


Ältere Israelis fühlten sich zurückversetzt in die Zeit des Sechstagekriegs von 1967. Netanjahu setzt auf Kriegstechnologie. „Der Feind ist unsichtbar, er muss lokalisiert werden“, sagte er über das Coronavirus. Israel werde Hightech-Methoden wie bei der Terrorbekämpfung einsetzen, um Infizierte und Seuchenherde aufzuspüren.
In der Krise spielt der Premier – anders als Gantz – sein Talent als Kommunikator und seine Führungsqualitäten aus. Kritik köchelt auf Sparflamme. Ex-Mitstreiter Moshe Yalon verglich ihn mit Erdoğan und warf ihm „zynisches Spiel“ vor. Selbst ein Kommentator der linksliberalen „Haaretz“ attestierte: „Es ist seine große Stunde.“ Sie schlägt jetzt aber erst für Gantz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2020)

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