Nachruf

Tod einer extremen Künstlerperson

Der Performer Genesis P-Orridge, bekannt von der Band Throbbing Gristle, ist 70-jährig gestorben.

Dass man mit Schmerzen hören solle – dieses Motto haben zwar die deutschen „Einstürzenden Neubauten“ formuliert, aber die britische Band Throbbing Gristle hat es am konsequentesten durchgeführt. Und es gleich ins Optische übersetzt: Ihre Auftritte sollten verstören. Das taten sie, kein Wunder: Jemand, den KZ-Bilder und Videos von Verstümmelungen nicht verstören, muss schon besorgniserregend abgebrüht sein. Die Musik dazu war meist – wohl ebenso mit Absicht – enervierend, klang oft nach Maschinenhallen. So gelten Throbbing Gristle als Väter des Stils, den man Industrial nannte. Sie prägten mit ihrem Label „Industrial Records“, auf dem 1977 ihr erstes Album „2nd Annual Report“ erschien, sogar den Namen des Genres. Am hörbarsten war das – natürlich ironisch benannte – Album „20 Jazz Funk Greats“, ziemlich eindringlich wirkte das Stück „Discipline“.

Hervorgegangen war die Band aus der 1969 von Genesis P-Orridge und der gleichgesinnten Künstlerin Cosey Fanni Tutti gegründeten Aktionskunstgruppe Coum Transmission. Bei deren hochgradig tabubrechend angelegter Ausstellung namens „Prostitution“ (1976) trat sie erstmals auf. Ein Tory-Abgeordneter nannte die Künstler empört „Wreckers of Civilisation“, was ihnen gut gefiel.

Sein angesichts der beschworenen Schrecken seltsam frugal anmutendes Pseudonym hatte der 1950 in Manchester geborene Neil Andrew Megson schon als Teenager gewählt, mit der Absicht, fortan als Kunstfigur zu leben. Er verwirklichte sie auch mit seiner zweiten, 1981 gegründeten Band Psychic TV, die gemäßigter klang, sich aber als okkulte Sekte namens Temple of Psychic Youth gerierte.

Sexuelle Verwandlung

Vor allem lebte er, längst aus England, wo man ihn wegen Verdachts auf Pädophilie verhaften wollte, nach New York übersiedelt, seine Vorstellung von Kunst in einem Projekt mit maximalem körperlichen Einsatz. Im Jahr 2000 begann P-Orridge gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Lady Jaye, geboren als Jacqueline Breyer, eine gemeinsame Person namens Breyer-P-Orridge zu kreieren, die auch beide Geschlechter vereinen bzw. „pandrogyn“ sein sollte. Im Zuge dieses Projekts unterzogen sich die beiden etlichen Behandlungen und chirurgischen Eingriffen. P-Orridge, der entsprechend immer weiblicher aussah, gab in den Nullerjahren wieder Konzerte mit Throbbing Gristle, ab 2010 mit Psychic Youth. Nun ist er/sie 70-jährig an Leukämie gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2020)

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