Mein Dienstag

Angst um den Ü-60-Klub

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ITALY-HEALTH-VIRUSAPA/AFP/MIGUEL MEDINA
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Es gehört anscheinend zum Coronazeitalter dazu, dass sich neue Konfliktfronten zwischen der Generation Ü60 und dem Rest auftun.

Stellt sich heraus, viele Mitglieder des Ü-60-Klubs sind nicht nur beratungsresistent, sondern auch besonders bedenkenlos. „Du darfst die Wohnung nur im Notfall verlassen“, maßregle ich den Papa am Telefon, und er findet, das ist eine logische Antwort darauf: „Ich habe in der Türkei einige Putsche erlebt.“ Er lässt einen herzlich unschönen Wutausbruch meinerseits über sich ergehen, um dann das Gespräch abzuschließen mit: „Ja, ja.“

Der Onkel geht im Wald spazieren und hat für sich selbst die Expertenmeinung gebildet, dass Sars-CoV-2 zwischen Fichtenbäumen nicht überleben kann. Ich beratschlage mich mit Freunden, die sich mit ähnlich störrischen geliebten Älteren herumschlagen. Der Erpressungsversuch einer Freundin, ihre Mutter, eine Krebs-Überlebende, aus dem Supermarkt fernzuhalten („Ich fahre sonst nicht mit dir in den Urlaub!“), ging umfassend schief. Sie berichtet mir: „Ich habe eine Stunde lang auf sie eingeredet, und das Ergebnis ist, sie geht weiterhin einkaufen, wir werden gemeinsam in den Urlaub fahren, und ich ich lade sie auch noch ein.“ Der Vater (83) eines Freundes ließ es sich nicht nehmen, ein Borussia-Dortmund-Spiel im örtlichen Sportwettcafé anzuschauen, wie immer eben. Der Freund hat mehrmals die Taktik ändern müssen (drohen, jammern, bitten), um hier einen Erfolg zu erzielen („Du gefährdest auch Mama“).

Dem Vernehmen nach war es hilfreich, dass das Sozialministerium die wichtigsten Virusinfos auch auf Türkisch, Serbisch, Kroatisch, Arabisch usw. verfasst hat. Die Links ließen sich unkompliziert weiterschicken, und es wirkt anders, wenn eine Behörde Verhaltensregeln aufstellt, als die unrund kreischende Tochter.

Das Coronavirus hat eine neue Angst um den geliebten Ü-60-Klub entfacht. Was ist, wenn den Eltern, Verwandten oder älteren Freunden in einem anderen Bundesland etwas passiert und man nicht einfach in den Zug einsteigen kann? Sie am Krankenbett besuchen? Die Sorge sitzt tief und ist real.

E-Mails an:duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2020)

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