Kandidatenturnier

Schach: Die größten Denksportler der Welt

Erst die Quarantäne, nun das Rampenlicht: Das chinesische Schachgenie Ding Liren.
Erst die Quarantäne, nun das Rampenlicht: Das chinesische Schachgenie Ding Liren.(c) Stefan Boness/picturedesk.com
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Ist es möglich, allerhöchste Schachkunst abzuliefern, während ringsherum doch alles verrücktspielt? Acht Großmeister geben dieser Tage in Jekaterinburg die Antwort.

Jekaterinburg/Wien. Was in jeder anderen Sportart derzeit denkunmöglich scheint, vollbringt gerade der Internationale Schachverband (Fide). In Jekaterinburg versammelt er dieser Tage acht Großmeister aus aller Welt zu einem Wettkampf. Beim Kandidatenturnier in der russischen Millionenstadt, 1800 Kilometer östlich von Moskau und jenseits des Urals, wird jener Spieler ermittelt, der Magnus Carlsen Ende 2020 bei der Weltmeisterschaft herausfordern wird.

Dass der  29-jährige Norweger, ohnehin seit 2011 Weltranglistenerster und seit 2013 Weltmeister, gerade die beste Phase seiner Karriere erlebt und übermächtig erscheint, ist eine andere Geschichte. Carlsen regiert die Schachwelt derart souverän, dass es nebenbei auch zur Nummer eins im Fantasy Football reichte. Im Dezember führte er mit seinem fiktiven Klub die Fantasy Premier League an, eine Simulation für Fußballmanagement mit über sieben Millionen Spielern weltweit.

Favoriten in Quarantäne

Zurück nach Russland. Im Modus jeder gegen jeden treten Carlsens Herausforderer im Hyatt Regency Hotel in Jekaterinburg jeweils zweimal gegeneinander an. Vor allem eine Frage beschäftigt dabei: Schaffen es die Großmeister, alle Auswirkungen der Corona-Pandemie auszublenden? Ist es möglich, allerhöchste Schachkunst abzuliefern, während ringsherum die Welt verrücktspielt?

Zwei Teilnehmern wird das am ehesten zugetraut. Zum einen Fabiano Caruana, 27-jähriger Vizeweltmeister und Weltranglistenzweiter aus den USA, und zum anderen dem Chinesen Ding Liren, ebenfalls 27 Jahre alt. Es sind die aktuell einzigen beiden Spieler neben Carlsen, die bei mehr als 2800 Elo-Punkten stehen. Ding Liren hatte Carlsen im Vorjahr sensationell im Stechen in St. Louis besiegt. Vor Jekaterinburg musste der Chinese aber vorsorglich einige Tage in Quarantäne in Moskau verbringen. Nicht zum ersten Mal, denn schon in seiner Heimat hatte das Schachgenie aus dem Südosten Chinas eine zweiwöchige Quarantäne hinter sich gebracht.

Kritik und Rückzug

Ebenfalls brisant: Großmeister Teimour Radjabov hätte beim Kandidatenturnier mit von der Partie sein sollen. Der 33-Jährige aus Aserbaidschan drängte ob der Coronapandemie auf eine Verschiebung der Veranstaltung, der Internationale Schachverband winkte ab, Radjabov zog seine Teilnahme schließlich zurück. Die Argumentation der Fide: Es handle sich um einen Wettkampf von acht Spielern und nicht um ein Massenevent. Maxime Vachier-Lagrave, ein studierter Mathematiker aus Frankreich, rückte nach.

Am Dienstag fiel in Jekaterinburg der Startschuss, Spieler hatten schon im Vorfeld angedeutet, mit Schutzmaske am Brett Platz nehmen zu wollen. Praktisch alle Journalisten und Pressebetreuer haben es nicht rechtzeitig nach Russland geschafft oder sitzen dort vorerst in Quarantäne. Am 3. April soll die umstrittene und für einige Zeit wohl letzte große Sportveranstaltung der Welt dann zu Ende sein.  (joe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2020)

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