Ein Virus hält auch diese Kolumne im Griff. Welche Reisen sind möglich?
In letzter Zeit wurde ich gelegentlich gefragt, ob ich nicht durch die jahrelange Reisearbeit vom Freak zum Skeptiker mutiert sei? Wieso ich meine einst herrlich-anarchistischen und grundlustigen Aperçus immer öfter durch tieftraurige, schwarzmalerische, manchmal gar dezidiert politische Reisekommentare konterkariere?
Ich lächle das hinweg. Als Einzelgänger habe ich immer schon die gewundenen, unausgetretenen Pfade betreten. Ich hatte deshalb das Glück, Orte zu sehen und Menschen zu begegnen, die anderen nicht unterkamen. Die Erzählungen lösten meist etwas Zuspruch und einigen Widerspruch aus – ich schätze beides gleichermaßen, man kann nicht allen gefallen. Nur mit meiner Abneigung gegenüber Flughäfen und Duty-free-Shops traf ich den Nerv einer überwältigenden Mehrheit der Leserinnen und Leser.
Nicht im Geringsten bin ich des Reisens leid . . . doch noch konsequenter als bisher meide ich die Sehenswürdigkeiten zugunsten der Hinterhöfe, Eckcafés und Gstätten. In diesem März 2020, ausgelöst durch den Einfluss eines „foreign virus“ (© Donald Trump), kommt endlich die Ära meines Reisestils!
Die Tourismus- und Reisekrise ist unumstritten. Von meinen drei März-Pressereisen sind bisher 2,5 abgesagt worden, und wenn Sie diese Zeilen lesen, wird sich auch die letzte halbe in Luft aufgelöst haben. Dem Klima schadet das nicht. Was können Reisehungrige nun noch tun? Das, was ich für die Ferne empfohlen habe, gilt auch für daheim: Die nächste Umgebung zum Ziel der Neugier zu machen. Sich selbst darin auszubilden, Dinge zu erforschen, die anderen unzugänglich sind.
Am meisten Spaß macht, baufällige Häuser oder stillgelegte Baustellen zu entern, Aussichtspunkte zu erklimmen, auf die Stadtgraffiti Bezug zu nehmen, sich auf einen Stein zu setzen und einfach die Augen zu öffnen. Es muss nicht immer der Traumstrand, die Shoppingmeile oder das Frühstücksbuffet sein – in der Nähe gibt es viel interessantere Orte. Nützen wir alle diese Gelegenheit für eine neue Art, unserer Umgebung zu begegnen. Sie kommt vielleicht nie wieder.
("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 20.03.2020)