Pflanzenporträts

Botanische Illustratoren: Geduldige Augen

(c) Christine Pichler
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Botanische Illustratoren kartieren künstlerisch die blinden Flecken einer Mikrowelt, die man vollständig nur zeichnerisch vermessen kann.

Nikolaus Joseph von Jacquin ist weit gereist  in der zweiten Hälfte des 18. Jahrunderts. Auch damit sich in Wien einiges verwurzeln kann: Nicht nur Pflanzen, die er aus der Karibik und Zentralamerika zurückbrachte, an den Hof und in die Gärten von Schönbrunn. Sondern auch eine andere botanische Tradition: Sich den verschiedenen Pflanzenspezies mit der Technik und der Kunst der Illustration zu nähern. Noch heute ist der Botanische Garten in Wien eng verbunden mit dem karibischen Raum. Dort, genauer im botanischen Garten von Cartagena, Kolumbien, wird in nächster Zeit auch eine botanische Illustration von Manuel Millautz zu sehen sein. Gerade arbeitet er daran. Eine Pflanze, die Jacquin schon beschrieben hat, steht bei ihm in Mautern bei Krems auf dem Zeichentisch: Eine „Pachypodium succulentum“. Charakteristisch sei natürlich der dicke Fuß, sagt Millautz. Und nicht ganz leicht zu zeichnen ist dieser obendrein. Er hat sich schon leichtere Vorlagen geholt, meistens sogar aus seinem eigenen Garten. Um sie so abzubilden, wie es neueste digitale Technologien nicht vermögen. In allerfeinster Aquarelltechnik. Mit naturgetreuen Farben. Mit allen Merkmalen, die ein Botaniker braucht, um die Pflanze auch eindeutig bestimmen zu können.

Mit den ersten Bleistiftskizzen taucht Millautz ein in eine Mikrowelt, für die man blind ist, solange man die Augen nicht neu herausfordert, vor allem in einer Ära, in der man ihnen vor lauter kurzer Aufmerksamkeitsspannen eines gar nicht mehr zugetraut hätte: das lange, intensive Betrachten. Millautz muss nicht nach Cartagena, um schon auf seiner eigenen Expedition zu sein – in die Welt feinster Details, komplexer organischer Gebilde und einer Ästhetik, die selbst hochauflösende Fotos so nicht erfassen könnten.



Detailanalyse. Die Pflanzen zeichnet er nicht nur, er „begleitet“ sie, sagt Millautz. Auch durch verschiedene Stadien, des Aufblühens und Vergehens etwa. Er lässt sich dabei ein auf die Bedingungen ihrer Existenz. Um zeichnerisch auf sie reagieren zu können, sie festzuhalten, „selbst wenn sie nicht davonlaufen können“. Denn eines läuft dennoch, die Zeit. „Die Blüte wird verblüht sein, wenn die Illustration schließlich fertig ist“, sagt Millautz, so muss man sich die Pflanze als Gesamterscheinung in Phasen und Teilen allmählich erschließen. Und den angemessenen ästhetischen und stilistischen Zugang wählen, je nach der Aufgabe, der die Illustration schließlich dienen soll. Einem Druckwerk etwa. Oder einem Botaniker als Grundlage zur wissenschaftlichen Bestimmung. Millautz nimmt Farbproben, mischt sich die passenden Farben ab, überträgt die Reinzeichnung auf Aquarellblatt, mit dünnem Bleistiftstrich. Eine introvertierte Zeichenphase. Im Gegensatz zu Phasen der sozialen Interaktion – unter botanischen Illustratoren. Wenn er sich mit anderen Mitgliedern der „Wiener Schule der botanischen Illustration“ austauscht. Ihr Treffpunkt: meist der Botanische Garten in Wien.

Obstporträts. Seine Technik hat Millautz unter anderem bei Sylvia Steinhauer-Maresch gelernt. Einen Marillenwurf von ihm entfernt hat sie in Furth bei Göttweig ihr Atelier. Ein fruchtbarer Boden auch für selten gewordene Obstsorten. Ihre Leidenschaft für die Landwirtschaft und ihre Produkte hat Steinhauer-Maresch im Waldviertel entwickelt, erzählt sie. „Es war faszinierend, Jahr für Jahr das Aufblühen des Waldviertler Graumohns erleben zu dürfen, diese Leichtigkeit der sich in der Landschaft wiegenden Felder.“ Am allerstärksten allerdings dürfte sie für eine Frucht „brennen“: für Äpfel. „Ich liebe sie. Ihre Form, ihre Zeichnung, ihren Charakter, ihren Duft“, schwärmt sie. Für dieses Mikro-Gesamtkunstwerk der Natur bleibt ihr als Künstlerin auch nichts anderes übrig als die akribische Gesamterhebung: Und diese funktioniert nun einmal über die „botanische Illustration“.

(c) Christine Pichler



„Das Kartieren, das Vermessen, das Visualisieren des Charakters einer Pflanze ist nur in gezeichneter Form möglich“, meint Steinhauer-Maresch. Um alle Merkmale wie „Blütensymmetrien, Blattstellungen, Blühstadien, Oberflächen und Wurzelsystem auch entsprechend darzustellen“. Und diese Feinheiten hat Steinhauer-Maresch auch schon für Organisationen wie etwa den Nationalpark Gesäuse oder den Verein Arche Noah abgebildet, für den sie bereits einige Obst- und Gemüsesorten „porträtiert“ hat, wie sie erzählt. Ihre Technik hat sie unter anderem auch bei der Künstlerin Margareta Pertl entwickelt, sie leitet in Wien regelmäßig Kurse zur botanischen Illustration, veranstaltet vom Verein „Wiener Schule der botanischen Illustration“ (www.botanische-illustration.at), den Pertl auch mitgegründet hat. In diesem Jahr wird der Verein jeden Freitag zusammenfinden, auch mit Gästen, im Alpengarten, dem botanischen Nachbarn des bekannteren Botanischen Gartens, der zur Universität Wien gehört. Dort, im Alpengarten, zeigt ein engagiertes Netzwerk an botanischen Illustratoren zurzeit aktuelle zeichnerische Blüten, im „Alpenhäuschen“ des Areals. „Ich freue mich, dass die botanische Illustration, die Beobachtung der Natur und der Umgang mit Pflanzen wieder mehr Beachtung finden“, so Pertl.

Im Alpengarten hat das „Schaufenster“ auch Isabel Mischka getroffen, mit dem Skizzenblock. Im Südburgenland, auf einem alten Bauernhof, da keimte schon ihr Interesse für die Botanik. Insbesondere für Nutzpflanzen, wie Mischka erzählt. Aus der Ferne hat sie am Royal Botanic Garden in Edinburgh einen Illustrationskurs besucht. Und dabei auch gelernt, sich die Pflanzen zu „erarbeiten“, mit botanischem Grundwissen, um auch ihren Lebenszyklus zu verstehen und wie man sie pflegt. Schließlich sitzt man ihnen manchmal auch ein bis zwei Monate gegenüber. „Bei großen Illustrationen kommen manchmal schon 200 Arbeitsstunden zusammen“, sagt Mischka. Zum Glück kann sie sehr lang fokussieren, manchmal eine Dreiviertelstunde am Stück, wie sie erzählt. Gern hört sie dabei Hörbücher, um nicht zu genau darüber nachzudenken, was sie gerade tut. „Man braucht diese Balance aus Nähe und Distanz zum Bild.“ Jedenfalls werde man durch das genaue Hinschauen auch im Alltag aufmerksamer. „Ich merke das, wenn ich beim Spazieren plötzlich ganz andere Farben und Strukturen wahrnehme.“ Gern stellt sie auch andere Lebensphasen dar als nur die Blütezeit, etwa die „faszinierenden Farbveränderungen, wenn eine Blüte langsam verwelkt“. Das Nichtidealisierte, Unperfekte, das gerade im Entstehen ist oder im Vergehen. Und für das man sonst vielleicht kein Auge hat. Wie für die „schönen großen gelb-orangen Blüten des Kürbis etwa. Schöner als jeder Blumenstrauß“.

Monochrom. Farbvielfalt ist dagegen bei Lisbeth Habusta weniger das Thema. Mit schwarzem Kugelschreiber auf Papier zeichnet sie, hebt dabei die Strukturen der Pflanzen ganz deutlich hervor. Mit „Botanical Art“ überschreibt sie ihren Zugang, hundertprozentige botanische Korrektheit gehört nicht dazu. Dafür andere Ansprüche: wie etwa die Abbildung in Lebensgröße. Mit dem Anordnen, Eingliedern, Komplettieren, damit alles sichtbar wird, was ein Botaniker sehen muss, beschäftigt sie sich nicht. Lieber mit der aktuellen Momentaufnahme der Pflanze, der sie gegenübersitzt. Habusta nimmt die Pflanzen, wie sie sind. Und zeigt unbeschönigt ihre Schönheit.

Tipp

Alpengarten. Beim Belvedere befindet sich der älteste Alpengarten Europas. Dort zeigt eine Ausstellung ab 16. März eine Auswahl ­botanischer ­Illustrationen.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 20.03.2020)

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