Man verfasst eine Kolumne und überlässt sie einem Strom, den man nicht kennt. Der Adressat ist unbekannt.
Quarantäne. Eine Ausnahmesituation. Die Reduzierung sozialer Kontakte. Ein Minimum an Begegnungen. Kein Treffen mit Bekannten. Geht man ins Lebensmittelgeschäft, begegnet man wenigen Menschen. Dafür sind die E-Mails umso zahlreicher. Der Mensch ist ein soziales Tier. Er sucht Adressaten. Je größer die Isolation, desto intensiver ersehnt man eine Kommunikation.
„Ein denkwürdiger Tag war der 30. August 1873. Er brachte eine Überraschung, wie sie nur in der Wiedergeburt zu neuem Leben liegt“, schreibt ein sichtlich bewegter Julius Payer. „,Land, Land, endlich Land!‘, jubelte die Mannschaft: Keine Kranken gab es mehr auf dem Schiff. Im Nu hatte sich die Nachricht der Entdeckung verbreitet. Alles war auf Deck geeilt.“ Und weiter: „Jahrtausende waren dahingegangen, ohne Kunde von dem Dasein dieses Landes zu haben. Jetzt fiel einer geringen Schar fast Aufgegebener seine Entdeckung in den Schoß – einer Schar, welche die Heimat bereits zu den Verschollenen zählte.“
Dass die Entdecker des Franz-Josef-Lands zwei Winter an Bord des Schiffs verbringen würden, ahnten die Männer der Tegetthoff nicht. Wir wissen, dass das Leben an Bord einigermaßen erträglich war. Die Mühsal, das Schiff aus dem Eis freizusägen, war groß, aber es gab immerhin Verpflegung, Bücher, gesellige Abende. Funkverbindung gab es noch nicht, andere Schiffe waren weit entfernt. Die Gefangenen des Eises sahen nur eine Möglichkeit, der Welt – oder ihrer Nachwelt? – Informationen zu senden: Flaschenpost.
1921, etwa ein halbes Jahrhundert nach der Expedition, fand ein norwegischer Frachter eine Flaschenpost der Tegetthoff. Den Inhalt kennen wir. Hilflos eingeschlossen hatte die Besatzung am 20. Mai 1873 ihr Schiff mit Schlitten verlassen. Nach Wochen durch Schnee und Eis sah man es wieder: Die Eisdrift hatte die Männer auf dieselbe Höhe zurückgetrieben. Manche wollten zum Schiff, um dort ihr Ende abzuwarten. Dem Rat eines Tiroler Jägers, so lang an Bord zu bleiben, bis die Drift das Schiff um den Nordpol herum bis zum Ausgangspunkt zurückgebracht habe, befolgte man nicht. Payer hielt die beschwörende Szene „Nie zurück!“, zum Schiff nämlich, später in einem berühmten Gemälde fest. In der Hand hielt der Kommandant eine Bibel.
Noch seltsamer ist aber eine andere Geschichte. 1978, 104 Jahre nach der Expedition, wollte ein sowjetischer Forscher auf einer Insel beim Franz-Josef-Land ein Abschiedsfoto machen. Als er auf einem Steinhaufen sein Stativ in den Boden rammte, stieß er auf einen Hohlraum mit einem zerbrochenen Steingutgefäß. Es enthielt eine Nachricht von Weyprecht mit der Bitte, man möge sie dem Marineministerium übermitteln. 1980 wurde sie dem österreichischen Verteidigungsministerium überreicht.
Warum ich das erzähle? Auch ein Feuilleton ist eine Flaschenpost. Man verfasst sie und überlässt sie einem Strom, den man nicht kennt. Der Adressat ist unbekannt. Man hofft, dass es jemand liest. Wird es nachhaltig sein? Wen wird das, was man heute schreibt, später einmal interessieren? Eine überflüssige Frage. Denn die Idee, ein Feuilleton als Flaschenpost „to whom it may concern“ zu sehen, lebt. Hätten wir keine Illusionen, müssten wir verstummen.