Es bleibt uns momentan nichts anderes übrig, als im Kopf zu reisen. Die Buch-Awards einer ITB, die nicht stattgefunden hat, liefern uns zumindest auf dem Papier Auslauf. Hier eine Auswahl der prämierten Bücher.
Die hohe Auszeichnung konnten sich die Preisträger heuer nicht abholen, doch Leserschaft ist ihnen gewiss. Selbst das geplante Partnerland Oman ist in Wort und Bild zu bereisen – in Form des prämierten Reise-Know-how-Bandes für individuelles Entdecken von Kirstin Kabasci und Peter Franzisky sowie des Dumont-Bands von Gerhard Heck.
Alte Hochkultur am Dach von Afrika
Äthiopien. Allein die Geografie verschafft Äthiopien schon eine Sonderstellung: Das Land am Afrikanischen Grabenbruch wird von sehr grünen, fruchtbaren Hochflächen, aber auch sehr trockenen Tiefen geprägt. Für die christliche Gemeinde hat es Bedeutung wegen seiner frühen Geschichte, das Reich von Axum war vor 2000 Jahren eine Hochkultur. Addis Abbeba hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wirtschaftlichen Zentrum entwickelt. Christian Sefrins detailreicher Band wird all dem gerecht und liefert auch viele Anregungen für Wanderungen, individuelle Erkundungen und Begegnungen in einem so biodiversen Land. Christian Sefrin: „Äthiopien. Unterwegs im ältesten Kulturland Afrikas“, Trescher Verlag, 540 S., 21,95 €
Hinter dem Zaun ist vor dem Zaum
Mexiko. Rund um das Mittelmeer hat uns Paul Theroux in seinen berühmten Reisebüchern geführt, in den alten Patagonien-Express gesetzt und uns das Tao des Reisens ausgedeutet. Nun wurde der amerikanische Reiseschriftsteller mit dem Preis für sein Lebenswerk von der ITB ausgezeichnet. Anlass gab wohl auch seine jüngste Arbeit, die die Kehr- sprich Schattenseite der US-Politik ausleuchtet: „Auf dem Schlangenpfad“ trifft Theroux Grenzgänger in Mexiko und schaut genauer hinter den Zaun. Keineswegs findet er hier ein gesetzloses Land und all das andere, wovor Donald Trump noch Angst hat, sondern oft das Gegenteil: Menschen, die hoffen und einander helfen.
Abgründe unter Oberflächen
Erdinneres. Mehrfach ausgezeichnet (nicht nur von der ITB, sondern auch mit dem NDR-Kultur-Sachbuchpreis) wurde die außergewöhnliche Entdeckungsreise von Robert Macfarlane unter die Erdoberfläche. Der britische Naturschriftsteller („Berge im Kopf“, „Alte Wege“) erschließt für den Leser Höhlen in Slowenien und England, taucht ab in den Untergrund von Paris und wagt sich in die Innenwelt grönländischer Gletscher vor. Damit zeigt er aber nicht nur die Schönheit des Abgründigen, sondern auch die Sensibilität des Erdinneren. Denn wo der Mensch in den Untergrund eingreift (etwa in Form von Lagerstätten für Sondermüll), läuft auch die Oberfläche Gefahr. Spannend.
Vom Lagerfeuer zum Baumhaus
Outdoor. Ausgangspunkt ist ein verlorenes Taschenbuch: Illustrator Teddy Keen hat es angeblich gefunden und verrät seinen Inhalt im „Big Book of Adventure“: Es geht um das Bauen eines Baumhauses, das Überqueren von Bächen, das Knotenmachen, wie man ein Lagerfeuer macht und sichert und natürlich auch um etwas erste Hilfe. So schlüssig vermittelt für seine Leser im Volksschulalter, dass das schön ausgeführte Buch in der Kategorie „Reisen mit Kindern“ ausgezeichnet wurde. Wobei: Es muss nicht gleich die absolute Wildnis sein, um draußen zu campieren und alles zu testen, es reicht schon der Garten, um Kulturtechniken zu lernen, die sich outdoor bewähren. Vielleicht nichts für Helikoptereltern.
Geländeformen wie Kunstwerke
Island. Die Böden, die karge Vegetation, die Gesteinsschichten, die Gletscher, die Wasserfälle: Island spielt das gesamte Repertoire an Naturfarben und Geländeformen, die in dieser kühlen Klimazone möglich sind, durch. Das sind die Sujets für einen Naturfotografen wie Michael Poliza. Der international bekannte Fotokünstler (und frühere Schauspieler und IT-Unternehmer) zeigt die Insel roh, schön, einsam: Nicht als (bis vor Kurzem) vom Massentourismus heimgesuchte Insel, sondern menschenleer, wie extraterrestrisch. Solche Bilder finden sich im ITB-Award ausgezeichneten Kalender. Bei Textbedarf und menschlichen Begegnungen gibt's auch ein „Island“-Buch in Kooperation von Poliza mit Christian Krug.
Kartenlesen: Orte und Geschichten
Globus. Je weiter sich die Welt den Menschen erschloss, desto mehr brauchten ihre Plätze Verortung: Kartenwerke arbeiteten sich immer weiter vor, die richtigen Positionen und Dimensionen von Flüssen, Bergen, Orten zu finden. Fantastisches kartografisches Material versammelt der Band „Kartenwelten“ – solche, die die schlingernden Bewegungen des Mississippi nachvollziehen genauso wie Karten, die politische Ereignisse, Vergleichsgrößen (etwa begradigte Flüsse) oder literarische Quellen heranzogen. Die fesselnden Geschichten dahinter haben die preisgekrönten Journalisten Betsy Mason und Greg Miller zusammengetragen und kommentiert. Mehr als 200 Karten.
Birdwatching: Vom Zen des Graureihers
Antarktis bis Alpen. Vögel zu beobachten hat etwas Kontemplatives, Meditatives, Magisches: Davon handelt „Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung“. Zugleich bewegt sich das Buch von Arnulf Conradi weit durch die ornithologische Welt: Von der Antarktis über die Nordsee bis in die Alpen. Der Autor, Arnulf Conradi, ist seit Kind an Birdwatcher – seit er mit acht Jahren ein Fernglas geschenkt bekommen hat, gleichzeitig fesselte ihn die Literatur, er war lang aktiv im Literaturbetrieb (gründete unter anderem den Berlin Verlag). So verbindet das Buch viele Sphären: Natur, Philosophie, Literatur. Arnulf Conradi: „Zen und die
Kunst der Vogelbeobachtung“, Antje Kunstmann Verlag, 240 S., 20 €
Wanderwissen in der Praxis
Weltweit. Welche und wie viel Vorbereitung braucht eine Wanderung? Einiges. Das weiß Christian Hlade sehr gut, hat er doch mit „Weltweitwandern“ vor vielen Jahren ein Unternehmen gegründet, das spannende Wanderreisen weltweit anbietet. In seinem „Großen Buch vom Wandern“ gibt er fundiertes Wanderwissen weiter: von der Auswahl der richtigen Trekkingschuhe über das Interpretieren von Wetter und Umgang mit Gefahrensituationen bis zu Blasenprophylaxe, Yoga-Übungen und Wandermeditationen. So dienen die vielen Tipps & Tricks, dafür „dass die Begegnung mit der Natur, anderen Kulturen und sich selbst gelingt“.
(MAD)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2020)