Friedensnobelpreisträger Al Gore genießt als Prophet des Klimawandels weltweit Ansehen. Privat steht er vor den Trümmern seiner Ehe – und mitten in einer peinlichen Schmuddelgeschichte.
Mister Stone empfing die Masseuse an der Tür jovial mit einer Flasche Bier und den Worten ,Nenn mich Al.‘“ So schildert Molly Hagerty die Ouvertüre ihres traumatischen Erlebnisses mit Ex-Vizepräsident Al Gore am 24. Oktober 2006 im Luxushotel Lucia in Portland, Oregon.
Unter dem Pseudonym „Stone“ orderte Gore abends um elf eine Massage um 540 Dollar inklusive Trinkgeld. So weit stimmen die Fakten in der Darstellung Gores und Hagertys überein. Was sich danach in der Suite in der neunten Etage zutrug, darüber klaffen die Erinnerungen der Protagonisten über das bizarre mitternächtliche Service indes auseinander.
Gore habe auf eine Spezialbehandlung gedrängt, behauptet die heute 54-Jährige, die sich neckisch als „Oma“ bezeichnet. Er habe ihre Hand unter ein um seine Lenden gewickeltes Handtuch geschoben; er habe sie bedrängt und begrapscht, ins Schlafzimmer gelockt und sich auf sie geworfen. Dazu lief als Hintergrundmusik „Dear Mr. President“ von Pink; Gore habe eine Karaoke-Einlage dazu gegeben.
Mit Müh und Not sei es ihr gelungen, sich dem Zugriff des „Raubtiers“ zu entwinden. „Ich habe ihm gesagt, er soll die Sache selbst in die Hand nehmen.“ Ihre Beschimpfungen, erzählte die Rothaarige dem Schmuddelblatt „National Enquirer“, hätten ihn nur noch mehr angetörnt: „Sie verrückter Sex-Pudel. Sie Perverser.“ Als sie seine Avancen abwehrte, habe er sie angebrüllt. Via Pressesprecherin tat Gore die Vorwürfe als Infamie ab.
Befleckte Hose. „Al Gores Sex-Attacke“, knallte es jetzt, fast vier Jahre später, von der Frontpage des „National Enquirer“. Mit ihren Enthüllungsstorys hatte die Supermarkt-Klatschpostille den Sexskandal um Tiger Woods losgetreten und das außereheliche Baby des Präsidentschaftskandidaten John Edwards ans Licht gezerrt, was dem Schmierblatt beinahe den Pulitzer-Preis eingebracht hätte. Noch öfter entsprangen die vermeintlichen Exklusivberichte aus der VIP-Welt freier Fabulierlust. Diesmal jedoch lieferte es den angeblichen Fotobeweis gleich mit: die beschmutzte Hose Hagertys, die Assoziationen weckte zu Monica Lewinskys spermabeflecktem blauen Samtkleid.
Wäre Bill Clinton der bezichtigte Unhold – es würde niemanden überraschen. Aber Al Gore, sein biederer Vize, der Friedensnobelpreisträger und Umweltguru, der in den vergangenen Jahren alle Auszeichnungen vom Oscar abwärts abräumte und bis vor Kurzem eine scheinbar vorbildliche Ehe führte?
Lange hat Molly Hagerty geschwiegen. Zunächst hatten ihre Freunde aus dem „Birkenstock-Volk“, dem alternativ geprägten Milieu Portlands, ihr dazu geraten. Als sie die sexuelle Belästigung doch anzeigte, hat die Polizei die Ermittlungen eingestellt – um sie nun wegen Verfahrensfehlern, wie es heißt, wiederaufzunehmen.
Nachdem Al und Tipper Gore, seit High-School-Zeiten ein Herz und eine Seele, vor einem Monat nach 40-jähriger Ehe aus heiterem Himmel ihre Trennung per E-Mail verkündet hatten, sah Hogerty die Stunde der Rache gekommen: die Möglichkeit, groß abzucashen und mit einer unbequemen Wahrheit herauszurücken – so auch der Titel von Gores Oscar-gekrönter Doku über die Erderwärmung. „Er soll damit nicht davonkommen“, erklärte sie. Das erhoffte Ein-Million-Dollar-Honorar streifte sie indes nicht ein.
Langer Kuss. Mit einem für die prüden US-Verhältnisse ungebührlich langen Kuss mit Tipper hatte Al Gore im Jahr 2000 auf dem demokratischen Parteitag sein Langweiler-Image abzulegen versucht. Zugleich ging er im Präsidentschaftswahlkampf demonstrativ auf Distanz zum notorischen Schwerenöter Bill Clinton. Wie eine bittere Ironie mutete es an, dass nun ausgerechnet der 62-Jährige vor den Trümmern seiner Ehe und inmitten einer Schmuddelgeschichte steht.
Nach der Wahlschmach gegen George W. Bush hatte sich Gore – dazu erzogen, einst Präsident zu werden – neu erfunden. Mit Bauch, Vollbart und Selbstironie – „Ich war mal der nächste Präsident der USA“ – zog er als Umweltprophet und Gegner des Irak-Kriegs durch die USA und die Welt. Einst brüstete er sich, das Internet erfunden zu haben. Nun saß er im Aufsichtsrat von Apple, beriet Google, war mit Rockstars per Du, galt als Darling Hollywoods und überhaupt als Anti-Bush. Eine weitere Präsidentschaftskandidatur schlug er aber aus, ebenso ein Ministerangebot Barack Obamas. Was sollte ein Friedensnobelpreisträger schon in Washington, wo er doch die Welt vor dem Untergang retten konnte?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2010)