"Jeder Verlust macht Räume frei, die man nutzen kann, wenn man nicht in seiner Verzweiflung verstrickt bleibt."
Interview

Psychotherapeut Lehofer: "Der Verlust des vermeintlich Notwendigen wird uns nicht umbringen"

Psychotherapeut Michael Lehofer über das Positive, das uns diese Krise lehren kann, über den Mut als Vorbedingung der Angst und darüber,  wie die Einsamkeit ihre dämonische Kraft verliert.

Herr Lehofer, Sie schreiben in Ihren Büchern über Selbstliebe und über eine positive Beziehung zu sich selbst. Was tun Sie momentan für sich persönlich Gutes?
Ich versuche, die ruhigen Abende gut mit meiner Frau, mit mir zu verbringen, Bücher zu lesen und genug zu schlafen, weil ich ja sonst doch sehr gefordert bin.

Als ärztlicher Direktor eines Landeskrankenhauses ist Daheimbleiben für Sie keine Option, nehme ich an.
Das stimmt, ich habe mehr denn je zu tun und bin nicht daheim, sondern momentan mit meiner beruflichen Aufgabe vor Ort sehr beschäftigt. Unser Spital hat 1200 Betten und ist ein infektiologisches Zentrum in der Steiermark. Es ist, so könnte man es formulieren, ein Corona-Schwerpunktspital. Wir alle haben unser Bestes zu geben. Aber mittlerweile sind wir gut vorbereitet und ich bin sehr zufrieden und innerlich ruhig.

Wie wirkt sich die soziale Isolation auf unsere Psyche aus?
Das hängt einmal davon ab, ob man wen anderen neben sich hat. In der sozialen Isolation sind Menschen gleichsam aufeinander geworfen. Da zeigt sich, ob sie sich gut verstehen oder nicht. Die Wahrheit kommt geradezu magisch ans Licht, man sieht seine Mitmenschen noch viel deutlicher als zuvor. Bei Menschen, die alleine sind, kommt es darauf an, ob sie es gut mit sich aushalten oder nicht. Manche Menschen halten es wunderbar mit sich aus, andere tun sich schwer. Darum kann man nicht verallgemeinern, wie sich die soziale Isolation auf die Psyche auswirkt. Ich kenne viele Menschen, die sagen, schön, dass einmal keine Notwendigkeit besteht, mir zu überlegen, wohin ich gehe und mit wem ich etwas ausmache. Die Getriebenheit, sich zu unterhalten, fällt weg. Manche genießen diese Situation geradezu. Viele aber werden sie als sehr belastend erleben. Dabei spielt natürlich auch die Zeit eine Rolle.

Belastend kann auch die Angst als Emotion sein. Ist sie legitim?
Angst ist grundsätzlich nicht nur eine legitime Emotion, sondern auch notwendig. Wenn ich von einer Epidemie betroffen bin, ist es klar, dass ich Angst habe. Jeder darf Angst haben. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Mut etwas ist, was Angst voraussetzt. Man kann nur mutig sein, wenn man vorher ängstlich ist. Es ist sinnvoll, mutig in Zeiten vermehrter Ängste zu sein. Ich meine nicht den blinden Mut, sondern einen optimistischen, zuversichtlichen Lebensmut. Das heißt, ich tue das, was zu tun ist, ich bin solidarisch, ich halte die Regeln, die die Bundesregierung vorgegeben hat, penibel ein, und ansonsten folge ich dem schönen Satz des heiligen Don Bosco, der aus Turin kommt und im 19. Jahrhundert gelebt hat: Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen. Wohlbemerkt: Man kann sich auch selbst etwas Gutes tun.

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