Neuvorstellungen

Disruption, aber anders

Pomp und Sechzehnzylinder mitten in der Großen Depression: Cadillac V-16 von 1930.
Pomp und Sechzehnzylinder mitten in der Großen Depression: Cadillac V-16 von 1930.(c) Werk
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Autowerke stellen die Produktion ein, dennoch werden neue Modelle präsentiert – in Livestreams statt auf der Straße. Aber werden wir wirklich so weiterfahren wie vor der Krise?

Wien, Home-Office. Wenn man bedenkt, wie die Autoindustrie in den vergangenen Jahren auf schwächelnde Märkte reagierte, wobei mit Schwächeln schon das bloße Ausbleiben von Wachstum gemeint sein konnte, und wie sie durchwegs staatlicher Hilfen zum Überleben bedurfte, als es 2008 einen tatsächlich empfindlichen Rückgang des Autoabsatzes gab, dann kann man sich die Tragweite der aktuellen Einschnitte ausmalen.

Erfolge von gestern

Die große Verwerfung – die viel beschworene Disruption –, nicht Elektromobilität, autonomes Fahren oder Sharing-Kultur bringen sie, sondern eine Gesundheitskrise, die zum Produktionsstopp zwingt. Vor einem Jahr wurde noch diskutiert, ob Audi wirklich eine dritte Schicht braucht.

Das steht im Kontrast zu den vielen Erfolgsmeldungen, die aktuell eintrudeln. Sie betreffen den Abschluss des Geschäftsjahres 2019, den zum Beispiel – nur weil es die beiden letzten auf der Liste sind – Ducati und Lamborghini mit Rekordzahlen in Absatz, Umsatz und Gewinn feiern. Von hoffentlich soliden Finanzen wird man nun auch eine Weile zehren müssen.

Allein im laufenden Jahr sollten von den großen Herstellern gut zwei Dutzend Modelle vorgestellt werden und mit kurzem zeitlichen Abstand auf die Straße rollen. Diese Zeitpläne sind nun ungültig, denn gerade ein Serienanlauf benötigt volle Produktionskapazitäten. Und wenn es sich bewahrheiten sollte, dass nach der Krise nichts mehr so ist wie davor, dann stehen auch Ausrichtung und Charakter der neuen Modelle auf dem Prüfstand. Werden die Autokäufer ohne Umwege zu alten Gewohnheiten zurückkehren?

Das betrifft  etwa den SUV-Boom, den bislang schon viele für eine Art von Wohlstandsverwahrlosung hielten. Mit möglichst hoher Tonnage und größtmöglichem Luftwiderstand durch die Gegend zu rollen, das macht man eher auch nur, wenn man es sich leisten kann. Die Hersteller indes sind komplett auf SUV programmiert und haben ihre Kleinwagen teilweise schon aus dem Sortiment genommen. Womöglich voreilig.

Man kann sich auch ausrechnen, was die neue Lage für das zarte Pflänzchen Elektromobilität bedeutet. Bevor der Politik die notwendige, endlich ernsthaft geführte Diskussion über den Nullemissions-Charakter dieser Autos aufgezwungen werden konnte, fällt sie als großer Sponsor des Abenteuers auch schon wieder aus. Für lange Zeit wird es wohl kein staatliches Geld für Subventionen und Förderungen von E-Autos und auch keine Milliarden für die Errichtung einer Ladesäulen-Infrastruktur geben.

Für das Klima ist das übrigens keine schlechte Nachricht. Was jetzt unfreiwillig passiert, die Einschränkung der Bewegungen auf der Straße, in der Luft und auf dem Wasser, ist eine bei allen Experten gleichermaßen anerkannte Form der CO2-Einsparung.   (tiv)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2020)

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