Leitartikel

Nein, wir kehren nicht ins Mittelalter zurück

Im österreichischen Hinterzimmer von Twitter wurde etwa die Forderung nach einem sofortigen Einfrieren aller Mieten erhoben.
Im österreichischen Hinterzimmer von Twitter wurde etwa die Forderung nach einem sofortigen Einfrieren aller Mieten erhoben.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die einen fordern in der Coronakrise Zwangsenteignungen, die anderen hoffen nach dem „Brand aus“ auf Tauschhandel und Schollenpflege. Beides ist absurd.

In der Krise zeigt sich nicht die soziale Intelligenz, sondern andere Spielarten intellektueller Reife. Schon allein dafür muss man dem österreichischen Hinterzimmer von Twitter dankbar sein. Da wurden interessante Ideen formuliert und Forderungen erhoben, etwa jene nach einem sofortigen Einfrieren aller Mieten. Der Staat solle also per Gesetz in den Wohnungsmarkt eingreifen und Privaten verbieten, Inflationsraten und so weiter ausgleichen zu dürfen. Warum nicht gleich per Gesetz senken?

Diese schlichte Idee wäre die beste Methode, den Wohnungsmarkt zu verknappen, aber vielleicht lassen sich dann durch eine Verschärfung der Krise weitere Vorschläge finden. Etwa diesen: Mobilfunkbetreiber sollten ihre Dienste kostenfrei anbieten! Auch das ist sicher präzise durchdacht: Die Telekomunternehmen verzichten bitte schön auf ihre Einnahmen, dann sinken Erlöse und Liquidität, und fertig sind die nächsten Kandidaten für Kurzarbeit und Kündigungen. Immerhin hat noch keine(r) gefordert, Toilettenpapier kostenlos zu verteilen.

Ein ähnliches Phänomen erleben wir im Medienwesen: Alle Privaten (und wohl auch der ORF) kämpfen mit massiven Einbrüchen im Anzeigenbereich, der – pauschal gerechnet – bei vielen die Hälfte der Erlöse zum Zahlen der Gehälter ausmacht. Der Unterschied: Private Medienunternehmen erhalten Förderungen für Vertrieb und Co, der ORF einen mehr als hundertfachen Betrag durch die ORF-Gebühren. Dieses öffentlich-rechtliche Modell bewährt sich dieser Tage, wie sogar FPÖ-Politiker einräumen müssen.

Wir anderen müssen dennoch Geld verdienen. Noch wurden wir nicht mit dem Ansinnen konfrontiert, unsere gedruckte Zeitung zu verschenken. Im Netz ist das anders: Dort wird die Forderung gestellt, wir mögen die gesamte Berichterstattung zu Corona gratis zugänglich machen. Sprich die Arbeit aller mit dem Thema beauftragten Kollegen soll unbezahlt bleiben. Das werden wir sicher nicht tun.

Zwar war die „Presse“ seit ihrer Gründung 1848 leider nicht immer profitabel, aber zwecks Unabhängigkeit von Staat und nahen Institutionen werden wir auch weiter auf Einnahmen angewiesen sein. Soll heißen: Allgemeine Informationen, wichtige Basisempfehlungen und notwendige Aufrufe offizieller Stellen zu dieser Krise bleiben natürlich kostenlos zugänglich. Hintergründe, Analysen, Interviews und vertiefende Recherchen bleiben unseren digitalen Abonnenten oder Kunden eines Tagespasses vorbehalten. Das kostet übrigens weit weniger als Streamingdienste. Anders formuliert: Die einzige Abhängigkeit, die man als Journalist akzeptiert, ist der bedingungslose Respekt vor unseren treuen Lesern und Usern.

Aber das ist nicht die einzige sonderbare Folgediskussion der Krise: Zukunftsforscher, die aus nachvollziehbaren Gründen diese Pandemie nicht haben kommen sehen, prophezeien eine neue Zeit. Wenn die Krise beendet ist, werde nicht nur der wirtschaftliche Wiederaufbau starten, sondern ein neuer Mensch geboren sein: Globalisierung werde von einem regionalen Tauschhandel abgelöst. Wo heute Smartphone und Digitalisierung das Maß der Kommunikation sind, werde das Nachbarschaftskränzchen ausgerichtet werden.

Das ist Unsinn: Selbst nach der Finanzkrise 2008 ist der weltweite Finanzhandel nicht zurückgegangen, sondern hat nach einer Talsohle wieder voll Fahrt aufgenommen. Auch diesmal wird der globale Handel wieder in die Gänge kommen. Dass es fahrlässig ist, fast die gesamte Medikamentenproduktion nach China abwandern zu lassen, wussten wir schon länger.

Und wie ein Blick in die verwaisten Schulen zeigt, brauchen wir mehr Digitalisierung: Eltern sind zu Recht genervt und überfordert, auf überlasteten Sites daran zu scheitern, Hausübungen herunterzuladen. Wir brauchten für die Kinder keine Hausübungen, sondern digitalen Unterricht wie in Skandinavien oder Israel. Das wird eine zentrale Aufgabe für den Bildungsminister nach 2020. Generell gilt: Das Wichtigste wird sein, die richtigen Schlüsse aus der Krise zu ziehen. Auch wenn die falschen romantischer, süßer und billiger klingen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2020)

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