Fünf Lektionen
Lektion Nummer eins: Wer in einem schäbigen Beisl auf die Frage „Brauchst du ein Glas für das Bier?“ mit „Kommt drauf an, welches Glas ihr habt“ antwortet, ist ein schlechter Mitreisender. Denn mit einem solch peniblen Genießer an der Seite wird jeder Restaurantbesuch, jeder Zwischenstopp an einer Raststation zur Geduldsprobe. Und das nach Verständnis heischende Schulterzucken gegenüber dem ob solcher Marotten irritierten Servierkörper wird auf jeder Reise mit dem Gourmet zum Dritten im Bunde.
Lektion Nummer zwei: Wer auf der Autofahrt von Berlin nach Wien trotz zuvor durchgemachter Nacht unbedingt einen Zwischenstopp in Velké Popovice einlegen will, ist ein anstrengender Mitreisender. Zugegeben, das in der kleinen Gemeinde südlich von Prag gebraute Bier ist sehr gut. Doch die Mühe, in einem kleinen Gasthaus einen ausschließlich in Tschechisch kommunizierenden Gast davon zu überzeugen, zehn Euro in Kronen zu wechseln – „Change, prosim!“ –, ist eine erniedrigende Angelegenheit. Abgesehen davon bekommt man Velkopopovický mittlerweile ohnehin in jedem zweiten Wiener Beisl.
Lektion Nummer drei: Wer sein Frühstück am liebsten bis in die Abendstunden ausdehnen möchte, ist ein schwieriger Reisebegleiter. So viele Dinge gäbe es zu sehen rund um Jerewan. Doch bis etwa 14 Uhr sehen wir von der Terrasse aus gerade einmal den Ararat am Horizont, einige süßlich-klebrige Marmeladen in geschmacklosen Glasschüsselchen und eine Kaffeekanne, die nie leer zu werden scheint. Wenn dann nach rund vier Stunden Frühstück sanft darauf hingewiesen wird, dass man vielleicht gern langsam aufbrechen möchte, erntet man womöglich ein „Kann ich bitte einmal in Ruhe frühstücken!“
Lektion Nummer vier: Wer mit einem Menschen verreist, der für gutes Essen und Trinken auch schon mal einen kleinen Umweg von knapp 100 Kilometern in Kauf nimmt, sollte viel Zeit haben – und Sightseeing außerhalb gastronomischer Einrichtungen nicht als Pflichtprogramm betrachten.
Lektion Nummer fünf: Wer mit derart komplizierten Gourmets auf Reisen geht, hat nachher wenigstens viel zu erzählen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2010)