Die Reifeprüfung

Alfa Romeo: Ein Spider zur Matura

Der Appeal von Mrs. Robinson hatte als Signation des Films den gleichen Stellenwert wie der damals brandneue Alfa Spider.
Der Appeal von Mrs. Robinson hatte als Signation des Films den gleichen Stellenwert wie der damals brandneue Alfa Spider.(c) Illustration: Klemens Kubala
  • Drucken

Alfa Romeo feiert demnächst das 110-Jahr-Jubiläum. Etwa zur Halbzeit der langen Karriere gab es „Die Reifeprüfung“. Wir waren im Kino.

Im Original ist es „The Graduate“, das heißt quasi Maturant, im US-College bist du dann meistens 19 oder 20. Benjamin, Dustin Hoffman, war 20. Auch Menschen, die den Film erst fünf- oder sechsmal gesehen haben, halten Landmarks der Erinnerung jederzeit abrufbar: Von Pool bis Affenkäfig, die Beine der Sünde, die Unschuld der Katharine Ross, Brücken, Tunnels, das sagenhafte Gfrieß des Vermieters, und immer drüber das diskrete Schmalz von Simon and Garfunkel, das lässt sich heute noch gern aufs Roggenbrot streichen. Es war die Ballade der späten Sechzigerjahre, falls der Papa nicht zufällig auf den Barrikaden war. Dann gibt’s milde Belehrung von wegen Sound of Silence, wir haben damals die Uni belagert, gell.

Den besten Satz sagt ein Tankwart ungefähr fünf Minuten vor Schluss. Es ist eine verehrungswürdige winzige Kendall-Tankstelle am Übergang von der Pampa zu Santa Barbara – Dustin Hoffman zerfetzt das Telefonbuch, schreit in den Hörer, er ist der Reverend, er findet den Weg zur Trauung nicht. Der Tankwart blickt erstaunt auf den jungen Burschen, Benjamin stürmt raus, wirft sich in den Spider und der Tankwart ruft:
„Need any gas, Father?“

(c) Illustration: Klemens Kubala

Wir wissen, Ben hatte nicht den Nerv zum Tanken, und zu den immer matter werdenden Schlägen der Bassgitarre geht dem Alfa der Saft aus. Ben lässt den authentisch verdreckten Spider stehen und rennt zum großen Finale, zu dem der Bus aus der sehr gelben 50er-Jahre-Baureihe (fantastisch!) im rechten Moment vorbeikommen wird. Der rote Spider ist wohl dem Verderben preisgegeben, in dieser Gegend, mit offenem Verdeck, der Zündschlüssel steckt. Ben wird das Auto nicht holen. Wer wird sich die Finger zersprageln an den Schlaufen des Verdecks, wer wird den Wagen waschen lassen, damit er wieder rot wird? Ich könnte das Drehbuch schreiben, aber Mike Nichols ist ja schon tot.

Bevor wir zu lamentieren anfangen, dass sich Katharine Ross nachher so rar gemacht hat (okay, Butch Cassidy), bestätigen wir kurz die Message des Films (1967). Die sagt uns, an der inneren Leere der Aufsteigergesellschaft werdet ihr noch lang zu kiefeln haben. Gewonnen. Immerhin ergab sich aus dem Status der Eltern der erfreuliche Umstand, dass Ben zur Matura einen Alfa Spider geschenkt bekommen hat. Eh in Kalifornien, da ergibt das schon Sinn.

In der Geschichte von Alfa Romeo gab es natürlich auch schon vorher aufregende Cabrios. Dies war eine neue, ziemlich schnörkellose Generation. Die Stylisten von Bertone, dann Pininfarina, hatten die Linie vorgegeben. Das italienische Publikum war zu einer Befragung aufgerufen (damals musste man noch eine Briefmarke auf eine Karte picken und das Ding zum Postkasten tragen), also die Namensvorschläge reichten von „Pizza“ bis „Lollobrigida“. Die Firma wählte „Duetto“, nicht schlecht, wenn man an Giulia/Giulietta dachte. Oder dass ein Roadster nur Platz für zwei hat.

»"Echte Duettos haben die Zeit kaum überstanden, sie wurden vom Rost weggerafft."
«

Duetto als Name war dann aber kein Riesenerfolg. Es hat zärtliche Ersatznamen gegeben (Ossa di sepia, unerklärlich für einen Nicht-Italiener, der gar nicht wissen will, wie die Rückenschale eines Tintenfischknochens ausschaut, – wo kommen denn die geschmurgelten kleinen Calamari her?).

Es ging um das Heck, das vielleicht wirklich ein bisschen zu rund und zu lang war, darum hat man bei uns Schlauchboot gesagt. Heute hilft uns „Duetto“ entscheidend weiter: Es markiert ganz klar diese erste Version von 1966 bis 1970, auch wenn der Gebrauchtwagenmarkt dafür die ganze Epoche der Baureihe (bis 1993) beansprucht. Echte Duettos haben die Zeit kaum überstanden, sie wurden vom Rost weggerafft oder von den Metamorphosen des nachverarbeitenden Gewerbes. Was heute als Duetto angeboten wird, ist meist den ersten Check nicht wert.

Zu Beginn, also 1966, beim Dreh des Films, gab es den Duetto nur mit 1,6-Liter-Motor und 109 PS, wir ergötzen uns an einem Preis von 2,3 Millionen. Lire! Wir liebten diese Lappen. In Österreich waren das allemal 109.000  Schilling, dafür hätte man schon drei VW-Käfer haben können, wenn auch nur 1200er.

In der „Graduate“-Legende hat der Spider über die Jahrzehnte einen gleichwertigen Rang neben Benjamin und Elaine bekommen, als wäre er ein Hauptdarsteller. Aber ehrlich gesagt, die „Reifeprüfung“ war kein Autofilm. Der Wagen war nur Accessoire, Transportmittel. Es gibt auch keine Szene, in der Ben den Wagen verzärtelt oder liebevoll mit ihm geredet hätte, wie es alle Mustang-Fahrer mit ihren Mustangs getan haben, selbst Neunelfer-Fahrer tun das heute noch. Ben brauchte den Wagen nur, um Mrs. Robinson zu treffen, dann deren Tochter Elaine, dann Elaine zu stalken, hin und her zwischen Berkeley und San Francisco und über am Weg liegende Brücken. Die Brücken waren natürlich fantastisch, Bay Bridge und Golden Gate, da ließen sich die Balladen von Simon and Garfunkel über lange Sequenzen drüberlegen, der Wagen sah gut aus, Ben im Cockpit war konzentriert erregt und der Soundmix ließ Glückseligkeit walten, auch wenn Katharine Ross (sehr zu Recht, aber hallo!) unerreichbar zickig blieb.

Gute Ohrenzeugen bezeugen das Geräusch des Alfa kurz nach dem Anlassen als kehlig, das ist so eine Art erotische Heiserkeit, das Hecheln der Ansauger, bis sich das Tröten des Auspuffs durchsetzt, aber nicht so ordinär wie in den Machoschüsseln. Die dunkle Färbung hat ab etwa 3000  U/min einen helleren Ton bekommen, immer noch delikat. Diese Noblesse im Sound zieht sich durch die ganze Alfa-Geschichte, soweit unsereins überhaupt eine Ahnung von früheren Tönen hat.

Der Weg zum Finale des Films führt uns durch die schönsten Tunnels des Highway 101, das ergibt Alfa-Musik in Dur und Moll.

Ob Bay Bridge oder Golden Gate, nie ist irgendjemand besser über Brücken gefahren. Simon und Garfunkel waren hilfreich.
Ob Bay Bridge oder Golden Gate, nie ist irgendjemand besser über Brücken gefahren. Simon und Garfunkel waren hilfreich.(c) Illustration: Klemens Kubala

Der etwas verkürzte Spider, zu dem keiner mehr Schlauchboot sagte, kam 1970 und war einfach harmonischer. Er hieß nun bloß Spider, oder Fastback zur Unterscheidung vom Duetto, und wurde jetzt  wirklich ein Erfolgsmodell, auch wenn wir bloß von weltweit etwa sechstausend Stück pro Jahr reden. Es gab wahlweise Motoren von 90 bis 130 PS, allesamt richtig schön Alfa-mäßig. Der Spider war halt immer einen Hauch zu teuer für unsereins. Als sogenannter Tester war man natürlich glücklich, voll des Lobes und traute sich nicht, die eigene Patschertheit in die Zeitung zu schreiben. Die simplen Handgriffe zum Verdeckverschließen führten zu einem Ritual der Demütigungen, wenn die klägliche Schnalle um ein paar Millimeter zu kurz griff. Zu zweit kein Problem, aber allein bist du winselnd im Regen gesessen. Mazda hat ein paar Jahre später im MX-5 gezeigt, dass es eigentlich ganz locker geht, Hochziehen und lässiges Verriegeln in einem Aufwaschen, Betonung auf lässig.

Dann kam unvermeidlicherweise die Zeit der Gummilippen und heftigen Stoßstangen, der Spider hatte das mit Anstand bewältigt, obwohl wir Ästheten natürlich den „Spoiler-Unrat“ beklagten. Andere Autos sahen damals schlimmer aus. Insgesamt sind 124.000 Duettos und Spiders zwischen 1966 und 1993 gebaut worden, es bleibt eine der erfolgreichsten Cabrio-Baureihen aller Zeiten.

Der Film hat die bald 55 Jahre besser überstanden als die Firma. Immerhin wird der Name Alfa Romeo im Konzern gerade wieder als Wert wahrgenommen und ein wenig befeuert. Stylingzitate und das Abrufen von Legenden sind hilfreich in einem heillos zusammengewürfelten Haufen von Firmen, und Namen, die sich von einem Stück Blech aufs nächste picken lassen. „The Graduate“ ist ein Pfosten im Selbstverständnis der wunderbaren Marke Alfa Romeo.

Jetzt geht’s noch um den feinsten Schmachtfetzen, wenn der Duetto in wechselndem Licht über die Brücken der Bay Area schnürt. „Hello Mrs. Robinson“ ist halt ein Schlager und führt weiter zu nichts. „The Sound of Silence“ geht immer, kann man schon sagen. Aber da ist dieses Lied aus dem Mittelalter von einem Marktplatz in England, und irgendwo zwischen den Zeiten und den Zeilen ist eine Liebe verlorengegangen, vielleicht nicht für immer.

Wenn wir also Katharine Ross, Anne Bancroft, Dustin Hoffman und den roten Alfa Spider aufrufen, hören wir vorzugsweise die Ballade von „Scarborough Fair“, dazwischen trötet einfühlsam der Doppelnocken-Alfa mit den roten Zündkabeln.

(c) Illustration: Klemens Kubala

Alfa Romeo Spider

Die Urform „Duetto“ wurde von 1966 bis 1970 gebaut. Mit Modifikationen lief der Spider bis 1993, insgesamt wurden 124.105 Einheiten gebaut. Der Duetto im Film hatte einen 1,6-Liter-Motor mit 109 PS. Dieses Modell kostete 1967 in Österreich 109.000 Schilling. Stärkster Serienmotor eines Spiders war ein Zweiliter mit 128 PS in den späten 1980er-Jahren.

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.