A110 S

Alpine: Frankreichs Feinstes

Anschnallen: Im Recaro-Sportschalensitz wird nicht gebröselt.
Anschnallen: Im Recaro-Sportschalensitz wird nicht gebröselt.Anschnallen: Im Recaro-Sportschalensitz wird nicht gebröselt. (c) Jürgen Skarwan
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Ein Sportwagen wie ein ofenfrisches Baguette unter Semmeln von gestern: Alpine legt mit der A110 S ein Schäuferl nach.

Siebenundfünfzig Zentimeter, die Standardlänge des klassischen Baguettes, der wohl kultiviertesten Form von Brotgebäck – so es nach französischem Vorbild gebacken ist. Denn einen, pardon, ordinären Semmelteig in die Länge ziehen, das war jahrzehntelang die Praxis bei uns, ist aber nicht das, wovon wir hier reden. Wir reden von einer Kruste – robust genug, der Stange Haltung zu verleihen –, die whiskeybraun ist und so knusprig, dass man sich dran verletzen könnte. Die Krume wiederum so flaumig und saftig, dass das Wasser in Sturzbächen im Mund zusammenläuft. Wer jetzt noch Butter zur Hand hat, weiß sich schon um ein exquisites, die Sinne inspirierendes Mahl.

Der Wiener Bäckermeister Felzl hatte vor gut 15  Jahren genug von langen Semmeln, ungeniert als Baguette verkauft, und nahm das Projekt einer authentischen Variante in Angriff. Eine Menge wurde ausprobiert, am Ende – oder eigentlich am Beginn – standen eine Reise nach Frankreich und die Erkenntnis: Wir haben im Land einfach nicht das Mehl, das die Franzosen haben, und genau das braucht es aber, will man ein Baguette haben, das so entzückt wie jenes in einer beliebigen Boulangerie am Pariser Montmartre. Also her mit dem Campaillette des Champs, einer Cuvée aus sechs Sorten.

Aber Mehl ist das eine, Handwerk das andere. Felzls Bäckermeister Peter, dessen Job jeden Tag kurz vor Mitternacht beginnt und um neun Uhr morgens endet, erklärt uns die Langzeitführung, in der der Teig für 20  Stunden rastet, seine charakteristische grobporige Krume ausbildet – Backtriebmittel: „null“, von Hefe nur einen Hauch – und schließlich auf Steinplatten einer Temperatur von 240 Grad und seiner letztgültigen Erscheinung zugeführt wird.

Kross, knusprig, trotzdem saftig – der Sportwagen, auf den das zutrifft, heißt Alpine und kommt aus der Normandie. Seine Maße: Keine 4,2   Meter lang, gerade 1,25   Meter hoch und vor allem konkurrenzlos leicht. Knappe Außenabmessungen, eine äußerst kompetente Grundkonstruktion, komplett in Aluminium ausgeführt, machen es möglich. Man steht damit allein auf weiter Flur.

Dieppe ist seit Jahrzehnten Sitz des kleinen Herstellers Alpine, seit einiger Zeit im Besitz von Renault, der in den Sixties quasi im Alleingang den Renn- und Rallyesport aufgewühlt hat. Die kleine Heckmotorflunder ist nach ihrem bevorzugten, nämlich alpinen Geläuf benannt: Bergstraßen. Auf der Rallye Monte Carlo lehrte sie Porsches 911 das Fürchten. Nach jener A110 verlief die Karriere der Marke ganz respektabel, aber letztlich nicht nachhaltig. Alpine hatte kein eigenes Modell mehr auf der Straße und fertigte für Renault Spezialgerätschaft. Vom ehemaligen Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn mag man nun halten, was man will – das überaus beherzte Comeback von Alpine fällt in seine Amtszeit, und das rechnen wir ihm hoch an. Denn das Genre der echten Sportwagen hat arg Federn gelassen. Nicht massig Motorleistung ist das Kriterium, sondern primär Leichtgewichtigkeit. Die ist auch bei Porsche längst verlorengegangen. Der Cayman als leichtestes Modell der Marke wiegt ganze 340 kg mehr als die Alpine. Das ist, wie wenn sich vier Kumpels an dein Auto krallen und mitschleifen lassen.

»"Famos: Dem Ansaugtrakt beim Einziehen der Luft lauschen."«

Viele Loblieder auf die Französin haben wir schon angestimmt, und jetzt geht es noch eine Tonlage höher: Mit der A110 S hat Alpine an den richtigen Stellen nachgewürzt. Unverändert das bewährte Doppelkupplungsgetriebe mit sieben Gängen, dirigiert, so nicht im Automatikmodus, über feststehende große Paddles an der Lenksäule. Auf dem Papier verzeichnen wir einen Leistungszuwachs auf 292 PS, am Fahrersitz fällt uns auch ein schnelleres, spontaneres Ansprechen des 1,8-Liter-Turbo-Vierzylinders auf. Ein im Normalbetrieb unaufgeregt-unauffälliges, im Bedarfsfall zorniges Kerlchen, das keinerlei künstliche Soundeffekte benötigt, wie sie derzeit bei allerlei Pseudosportformaten um sich greifen. Sagenhaft, wie man dem Ansaugtrakt beim Einziehen der Luft lauschen kann – der Motor liegt ja direkt hinter der Fahrgastzelle mit den Lufteinlässen an der Flanke. Die Mehrleistung zur Standard-Alpine lässt man sich gern gefallen, denn die S-Variante wartet auch mit ungleich mehr Grip auf. Das liegt an breiteren Reifen, an Pneus mit neuer Gummimischung, an der Aufhängung mit doppelter Federrate und massiv verstärkten Querlenkern, die mit dem Gesamtgewicht des Autos von 1120 kg auch unter höchster Fliehkraftbelastung nicht die geringste Mühe haben. Faszinierend, wie sich das Auto jeden Anflug von Untersteuern schon im Ansatz untersagt, und wie komplett wank- und kippfrei Lastwechsel vonstattengehen. Man muss sich fahrtechnisch richtig umstellen, denn die Nachbehandlung von Lastwechseleffekten am Lenkrad kann man sich in schnellen Kurven schenken, sie treten einfach nicht auf.

(c) Juergen Skarwan

Das ist etwas selten Erlebtes dieser Tage, in der das Fahrzeuggewicht nur eine Richtung, die falsche, kennt: nach oben. Wenig Gewicht ist nicht nur beim Agieren im Grenzbereich ein Vorteil. Es beginnt schon beim Ausparken und wirkt im täglichen Agieren, für das gilt: Was (an Kilos) nicht da ist, muss auch nicht bewegt werden. Wie irrig wirkt die grassierende SUV-Mode, in der von trägen Elefanten ersetzt worden ist,
was vielleicht sportliche, knapp taillierte Coupés oder was auch immer hätten sein können. Der Zwei- bis Zweieinhalbtonner ist zur Norm geworden – größte Ironie, dass der Gattungsbegriff das Wörtchen Sport enthält.

Glücklich, wer sich in einer Alpine absetzen kann von dieser automobilen Adipositas, und sich in einem heutigen wie künftigen Klassiker weiß: Die Tugenden eines echten Sportwagens haben Bestand, solange es Autos gibt. Sagte schon Ferry Porsche.

Danke, Carlos Ghosn

Der letzte echte Sportwagen diesseits der 100.000 Euro kommt aus der Normandie. In S-Version mit noch mehr Grip, Punch und Präzision.

Name: Alpine A110 S

Preis: 71.900 Euro

Motor: R4-Zylinder-Turbo, 1798 ccm

Leistung: 292 PS

Antrieb: Hinterrad

Gewicht: 1114 kg

0–100 km/h: in 4,4 Sekunden

Vmax:.260 km/h

Verbrauch: 9,5/100 km im Test

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

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