Art Cars

BMW M8 und Andy Warhols M1: Die Kunst der Stunde

(c) Juergen Skarwan
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Der BMW M8 und sein wilder Vorfahre, der zum Kunstwerk wurde.

Die erste Bestzeit des Autos legte der Meister himself hin, ohne dass er den Motor startete: 28  Minuten, länger brauchte Andy Warhol nicht, als er 1979 einen BMW M1 in ein Kunstwerk, genauer: in ein Art Car verwandelte.

Das ist einsamer Rekord in der langen Geschichte der Reihe. 19 Exemplare hat sie bislang hervorgebracht. Sie begann nicht als cleveres PR- und Marketingtool, sondern kommerziell völlig unschuldig, als private Initiative des Franzosen Hervé Poulain. In dem Rennfahrer steckte auch ein Kunstkenner und Kurator, und für seinen Renneinsatz bei den 24  Stunden von Le Mans im Jahr 1975 hatte er ein besonderes Fahrzeug im Sinn. Poulain stellte dem US-Künstler Alex Calder zunächst eine Spielzeugversion seines 320i als Leinwand zur Verfügung – und überredete BMW zu außertourlichen, sehr aufwendigen Lackierarbeiten vor dem Rennen, um Calders Entwurf auf das Einsatzfahrzeug zu übertragen – ein Wagnis für den eher konservativ gebürsteten bayrischen Hersteller. 

Bei BMW erzählt ein Verantwortlicher rückblickend: „Es hätte böse daneben gehen können. Wie leicht hätte man sich lächerlich machen können! Es prallten mit dem Auto ja zwei Welten aufeinander.“

Die Kunst im Rennsport, die hatte sich bis dahin auf formvollendete Darbietungen an Lenkrad und Pedalen beschränkt.

Calder, der im Folgejahr starb, zählt zu den Größen der zeitgenössischen Kunst, seine Mobiles, neben etwa 22.000 anderen Werken, finden sich in Modern-Art-Museen auf der ganzen Welt.

Dieses Mobile, diese bewegliche Skulptur war auch für Calder etwas Besonderes. Anders als bei Warhol entstand das erste Art Car mit größter Akribie und unter beherzter Zuwendung des Künstlers, der dem Piloten Poulain vor dem Rennen noch mit auf den Weg gab: „Gewinne, aber zerstöre das Auto nicht!“

Die Rennfahrer, darunter Hans-Joachim Stuck, ließen zwar keine Milde walten, brachten den 320i aber nicht ins Ziel – ein Defekt zwang zur Aufgabe. Die Aufmerksamkeit und die Zuneigung von Publikum und Presse hatte das erste Art Car, bevor es den Begriff dafür gab, aber gewonnen.

»„Ich liebe dieses Auto. Es ist besser gelungen als das Kunstwerk.“«

Auf Calder folgten Frank Stella (1976) und Roy Lichtenstein (1977), bevor Andy Warhol, Ikone der Pop-Art schlechthin, 1979 zum Pinsel griff. Seine Leinwand: ein BMW M1 im Procar-Trimm, also in Rennversion. Mit Autos hatte der Künstler bis dahin nichts am Hut. Seine Idee war simpel
und einleuchtend: „In der Geschwindigkeit eines Rennwagens verschwimmen Farben und Formen.“ Warhol machte keine Skizzen und fertigte kein Modell an – er schritt direkt zur Arbeit und verteilte ohne Umschweife die Farbe aus den Töpfen.

Der BMW M1 in Serienversion war 1978 erschienen – als erster Mittelmotorsportwagen ein Paukenschlag bei der Marke. Heute wird er als Supercar geführt – in seinen Tagen war er das teuerste Auto auf dem deutschen Markt –, dafür reichten damals 277 PS aus einem Sechszylinderreihenmotor mit 3,5 Liter Hubraum.

Warhols Variante war freilich als Procar ausgeführt, mit gut 470 PS Leistung, nur 1020 Kilogramm Gewicht, Riesenflügel und Rennfahrwerk. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1979, da war die Farbe noch nicht zur Gänze getrocknet, beendeten die drei Piloten einander abwechselnd, mit Initiator Poulain unter ihnen, in diesem Auto auf dem sechsten Gesamtrang.

Eine halbe Stunde, länger hat der Meister nicht gepinselt: Andy Warhol und BMW M1 Procar, 1979.
Eine halbe Stunde, länger hat der Meister nicht gepinselt: Andy Warhol und BMW M1 Procar, 1979. (c) Beigestellt

Diese Samstag-auf-Sonntag-Fahrt war eine Schlacht gewesen: Nur 22 Autos schafften es ins Ziel (darunter ein Porsche 935 mit Paul Newman bei seinem Le-Mans-Debüt am Steuer, er wurde Zweiter). 36  Rennwagen waren ausgefallen.

Der Straßen-M1 wurde nur drei Jahre gebaut und bekam keinen Nachfolger. In Le Mans wurde BMW noch mehrmals vorstellig, auch mit einem Art Car in der höchsten Spielklasse der LM-Prototypen – BMW gewann dieses Rennen 1999, aber nicht mit dem Exemplar der Künstlerin Jenny Holzer.

Aktiver denn je ist die M GmbH als lukrativer Performance-Arm der Marke. Der Name M1 ist für das Original reserviert, aber darüber lässt sich je nach Ambition und Budget frei deklinieren: Von M2 bis M8 plus diverse als X geführte SUV-Varianten reicht das leistungsgesteigerte Sortiment. Die Fans sind vorhanden: Im Vorjahr legte man im ewigen Wettstreit mit AMG/Mercedes einen Rekordabsatz hin.  

»„Der M8 ist ein Rennwagen ohne Renneinsatz. Er wird nie gewinnen.“«

Und es gibt immer noch eine Steigerung. Sie heißt Competition und ist ein Leistungs- und Dekorpaket, das den M8 in Supercarsphären hievt, preislich wie auch auf dem Typenschein. 625  PS schlagen zu Buche, wenn der Achtzylinder seine Nenndrehzahl erreicht.

Das Auto ist indes eine merkwürdige Mischung: In Größe und Gewicht angelegt als schneller Reisewagen, als klassischer GT, kehrt er mit seinem Hochleistungs-V8 und der extrastraffen Fahrwerksabstimmung den Racer heraus. Es ist ein Rennwagen ohne Renneinsatz.

Im „Competition“-Trimm zeigt der M8 die letzte Eskalationsstufe: noch mehr Leistung, noch mehr Karbon.
Im „Competition“-Trimm zeigt der M8 die letzte Eskalationsstufe: noch mehr Leistung, noch mehr Karbon.(c) Juergen Skarwan

Als technische Basis des M8 ist unschwer der M5 ausgemacht, somit ist auch Allradantrieb an Bord, den man mit ein paar Einstellungen in reinen Heckantrieb umwandeln kann. Überhaupt lässt sich fast jede Art von Set-up bewerkstelligen, sofern es Dämpfer, Getriebe, Lenkung, Motor, Differenziale, Auspuffklang und Regelsysteme betrifft. Zwei Einstellungen, frei konfiguriert, sind durch rote M-Tasten am Lenkrad direkt abrufbar. Was man mit einem solcherart entsicherten und geladenen M8 dann anfangen soll, ist das vielleicht noch größere Rätsel als eine sinnvolle Abstimmung der Komponenten. Mit fünf Metern Länge und gut zwei Tonnen Gewicht hat man bei forcierter Gangart zur Bremse deutlich mehr Kontakt als zum Gaspedal. Dessen wird man bald überdrüssig. Vielleicht ist die Deutsche Autobahn, sofern Schnellfahren dieser Tage noch irgendwie angesagt ist, die passende Bühne für dieses Auto. In zivilerer Aufmachung als M850i oder 840d ist die Baureihe wesentlich stimmiger, befreit vom Druck der Höchstleistung. So bleibt der M8 ein Manifest des Überholten.

Warhols M1 steht heute als bedeutendes Exemplar in der Art-Car-Sammlung und geht hin und wieder auf Tour. Wer das im Zeichen des Künstlers selbst tun möchte, macht sich auf ins slowakische Medzilaborce und besucht ein Museum, das allein Andy Warhol gewidmet ist: Seine Familie stammt aus der Gegend. Warhols Vater war in die USA emigriert, Andy kam 1928 in Pittsburgh auf die Welt. Der Weg in diesen letzten Winkel der Slowakei ist weit, als Alternative bietet sich das Danubiana Meulensteen Museum nahe Bratislava an. Ein Warhol hängt dort keiner –  seiner Kunst, der Pop-Art, wird aber mit Kompetenz und Hingabe gehuldigt.

(c) Beigestellt

Kaum war die Farbe getrocknet

Als Teilnehmer in der Gruppe 4 erlangte Startnummer 76 den sechsten Gesamtrang bei den 24 Stunden von Le Mans 1979.

Name: BMW M1 Procar

Preis: n/a

Motor: R6-Zylinder, 3498 ccm

Leistung: ca. 470 PS bei 9000/min

Antrieb: Hinterrad

Gewicht: 1020 kg

0–100 km/h: in 4,5 Sekunden

Vmax: 310 km/h

Verbrauch: 12 Farbkübel

(c) Juergen Skarwan

Außerhalb des Wettbewerbs

Auch mit dem Zusatz „Competition“:  Eine eigene Rennserie wie früher die M1-Procar-Meisterschaft gibt es für den M8 nicht.

Name: BMW M8 Competition

Preis: 197.000 Euro

Motor: V8-Zylinder-Turbo, 4395 ccm

Leistung: 625 PS bei 6000/min

Antrieb: Allrad

Gewicht: 1960 kg

0–100 km/h: in 3,2 Sekunden

Vmax: 305 km/h

Verbrauch: 11,8 l/100 km im Test

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

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