US-Elektrikerin aus den USA: Zero. Die SRS, mit 110 PS, ist neu und höchst fahraktiv.
Motorrad

Gas geben, Spaß leben

Die motorisierte Mobilität ist geprägt von zunehmender Sterilität, sie hängt an der Kandare elektronischer Aufpasser. Doch es gibt noch gefühlsechte Gefährte. Meistens haben sie zwei Räder, manchmal drei. Für 2020 gibt's jede Menge neuer Varianten.

Schaut man sich an, wohin die Autowelt steuert, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Fahren zur Nebensache wird. Viel wichtiger scheint es, zu kommunizieren. Kaum reell, mit Straße, Wind und Wetter oder auch mit anderen Verkehrsteilnehmern. Dafür virtuell. Online sein, permanent, rückt ins Zentrum. Aus dem Fokus verschwindet nicht allein die aktive und bewusste motorisierte Fortbewegung. Mit der Automatisierung des Fahrens reduziert sich auch die Wahrnehmungsbereitschaft für die Umgebung, sei es die Landschaft oder das Mitmenschentum. Denn der Aufnahmefähigkeit für äußere Eindrücke weniger förderlich als propagiert ist das verordnete Sicherheitsdiktat der elektronischen Fahrhelfer und -warner. Die halten einen auf Abstand und in der Spur – und wenn es etwas Bemerkenswertes anzuschauen gibt, ist es ohnehin auf dem Display des Infotainmentsystems zu sehen. Auch das mag Freude machen. Auf der Strecke bleibt aber mit Sicherheit ein Gutteil an Gefühlsechtheit und Sinnlichkeit. Und echte, real ge- und erfühlte Emotion.

Lust und Liebe sind, zusätzlich zur Mobilität, ob als Freizeitgestaltung oder zum täglichen Commuting, ein basales Element des Zweiradfahrens. Mag sein, dass nicht hundert Prozent aller Menschen, die ein Moped oder Motorrad bewegen, eine tiefe Bindung zu ihrem Gefährt haben. Doch die meisten tun es. Kaufentscheidend ist nicht allein der Preis, sondern eine Reihe weiterer Faktoren: Marke, Design, Leistung, Image und Vorliebe, Größe, Gewicht, Universalität oder Spezialität, Umfeld, in dem das Eisen bewegt werden soll, und so fort. Ein Spiegel dessen ist das breit gefächerte Offert an Klassen, Segmenten und Varianten. 2019 waren in Österreich knapp 550.000 Motorräder zugelassen (Quelle: de.statista.com). Die Verkaufszahlen sind im Vorjahr – wieder – gestiegen. Die Bilanz 2019 weist 27.696 neu zugelassene Fahrzeuge aus (Motorräder und Leichtmotorräder). 2009 waren es 21.312.

Kawasaki W800: Sie gesellt sich zur „Street“ und zur „Café“. 48 PS, tauglich für A2-Schein.
Kawasaki W800: Sie gesellt sich zur „Street“ und zur „Café“. 48 PS, tauglich für A2-Schein.(c) Beigestellt

Obwohl der technische Aufwand für Motorräder – parallel zu Autos – ungleich komplexer und komplizierter geworden ist. Seit 2017 ist in der Europäischen Union die Emissions- und Verbrauchsnorm Euro IV Bedingung für die Zulassungsfähigkeit. Dabei genügt es nicht, den Abgasausstoß runterzuschrauben, verpflichtend sind ebenso OBD I (On-Board-Diagnose), Aktivkohletankentlüftung und Entsprechung der Prüfnorm nach WMTC (World Motorcycle Test Cycle, misst Abgase und Verbrauch). Das bedeutete das Aus für Vergasermotoren und damit vor allem für etliche Klassiker. Seit Beginn dieses Jahres gilt Euro V für neu produzierte Modelle, ab 2021 auch für neu zugelassene. Diese nächste Stufe bedeutet eine Reduzierung der Emissionswerte um ein Drittel. Für die noch höheren, folgenden Anforderungen sind technische Maßnahmen nötig, die wohl über Einspritzung und Katalysatoren hinausgehen. Ein Faktum, das zum Beispiel Yamahas Tourerin FJR 1300 in Pension schickt. Am Horizont steht somit für Motorräder auch das Thema Zwangsbeatmung, sei es via Kompressor oder Turbo.

Beides ist kein Fremdwort in der Motorradwelt. Aktuelles Beispiel für Ersteres ist die Kawasaki H2 in all ihren Modellfacetten. In sozusagen grauer Vorzeit, in den 1930ern, hat BMW eine 500er-Kompressor auf die Rennstrecken geschickt. Das war akustisch harmloser als etwa die kreissägenartig kreischende Ladepumpen-DKW. In den 1980ern gab es eine regelrechte Turbobewegung, siehe Honda CX 500, Yamaha XJ 650, Suzuki XN85 und Kawasaki Z 750, es gab auch Einzelprojekte von Harleys mit Aufladung (Road King). Diese Typen sind schon eine Zeit lang Geschichte, aufgrund ihrer Exotik, Hochpreisigkeit, des nicht ganz einfachen Fahrverhaltens und des teilweise exorbitanten Spritkonsums. Wie auch immer heutzutage die Zulassungskonformität erzielt werden kann: Ab 2024 ist OBD II dran, die nächste Stufe der permanenten Überwachung abgasrelevanter Faktoren. Gleichzeitig steht eine weitere Senkung der Geräuschemission an, 77 Dezibel, wie derzeit, dürfte unterboten werden müssen.

Mehr Hubraum, mehr Schmalz: Honda hat die Africa Twin auf 1100 ccm und 102 PS gepusht.
Mehr Hubraum, mehr Schmalz: Honda hat die Africa Twin auf 1100 ccm und 102 PS gepusht. (c) Beigestellt

Dazu kommt: Assistenzelektronik geht an den Einspurigen beileibe nicht vorbei. Ein Brems-Antiblockiersystem ist seit 2017 zwingend für Neuzulassungen vorgeschrieben (Ausnahmen: Trials und Hard Enduros). Was es darüber hinaus schon alles gibt: Reifendruck-, Traktions-, Stabilitäts-, Wheelie- und Stoppie-Kontrolle, Tempomat, Antischlupfregelung, Kurven-ABS, Berganfahrhilfe, Schräglagenbegrenzer und Totwinkelwarner. In puncto Motorsteuerung greift die Elektronik in allen Segmenten mit verschiedenen Fahrmodi, geregelt übers Motormapping, zur Regulierung der Leistungsentfaltung bei unterschiedlichen Fahr- und anderen Bedingungen. Man kennt das von modernen Autos. Auch Fahrwerksregelsysteme – adaptive und aktive – sind in der hochpreisigen Klasse kein Fremdwort mehr.

Selbst im Kapitel Konnektivität und Infotainment zieht die Ein- (und fallweise Drei-)Spurwelt mit den Vier- und Mehrrädrigen nahezu gleich. Navigation, Bluetooth-Telefonie, TFT-Displays, automatische Notrufsysteme, Apps (da geht es nicht nur um die paar Elektromodelle, die auf dem Markt sind) – es gibt wenig, was es noch nicht gibt. Man kann sich auch mit anderen Motorrädern vernetzen – mit deren Fahrern sowieso   –, ebenso mit Autos, nächste Stufe ist
die Kommunikation mit der Verkehrsinfrastruktur. Die Algorithmisierung auch der einspurigen Mobilität lässt wohl nicht mehr sehr lang auf sich warten.

Ein Bike sieht rot: Harley-Davidson macht auf Streetfighter mit der Bronx. Noch als Konzept.
Ein Bike sieht rot: Harley-Davidson macht auf Streetfighter mit der Bronx. Noch als Konzept.(c) Beigestellt

Doch trotz Digitalisierung: Das alles kann einem das Gefühlserlebnis nicht nehmen, die Freude, beim Gas geben den Spaß zu leben. Den Wind und das Wetter zu spüren. Wendig durch den Verkehr zu pfeilen. Durchs Winkelwerk zu tanzen. Die Welt aus der Schräglage zu betrachten. Stehenzubleiben, (fast) wo immer man will, um die Landschaft zu kontemplieren, dabei ihre Düfte zu inhalieren. Sich auf sich selbst und das Eisen zu konzentrieren. Egal, ob man das Motorradfahren als Gruppenerlebnis anlegt oder auf Solopfaden entlegene Ecken erkundet.

Was ebenfalls bleiben wird, das ist die Qual der Wahl. Die Motorradmesse in Mailand, Italien, – im Herbst 2019, in Vor-Corona-Zeiten – präsentierte ebenso wie die heimische Neuheitenshow Moto-Austria in Wels, Oberösterreich – im vergangenen Februar – sowie eine Reihe von Händlerevents, wie weit gespannt der Bogen der motorisierten Einspurigen ist. Gemäß dem Trend der vergangenen Jahre stand kaum etwas wirklich Neues im Scheinwerferlicht, dafür neue Interpretationen und weitere Derivate. Die Politur der bestehenden und neu aufgestellten Modelle reicht vom Ausreizen der Spitzenleistung bis zur Verfeinerung bewährter Konzepte. Das Spektrum reicht von ultimativen Hypersportlerinnen über hubraummächtige Edeleisen und frisch gemachte Mittelklasslerinnen bis zu feinen Rollern für die Stadt und das nahe Umland. Die Elektrifizierung spielt zwar noch eine Nischenrolle, stammt aber teilweise bereits von Volumenherstellern.

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

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