Coronavirus

In Zeiten der Coronakrise: Das neue Lob der Grenze

Wenn es ernst wird, bestimmt die Grenze, was ich bin: Angehöriger einer Risikogruppe oder eine Gefahr. Bei Heiligenblut.
Wenn es ernst wird, bestimmt die Grenze, was ich bin: Angehöriger einer Risikogruppe oder eine Gefahr. Bei Heiligenblut.APA/EXPA/ JOHANN GRODER
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Für jeden weltoffenen Menschen waren Grenzen bis vor Kurzem noch eine Zumutung. Jetzt, im Angesicht der Krise, werden ihre Aufgaben wiederentdeckt: Grenzen können den Schwachen schützen. Und einiges mehr.

Wie sich die Zeiten doch ändern. Für jeden liberal denkenden, human gesinnten und weltoffenen Menschen waren Grenzen bis vor Kurzem noch eine Zumutung. Grenzen schränken den Bewegungsraum ein. Sie nötigen zum Stehenbleiben, zur Zurückhaltung, zur Unterlassung, zum Innehalten. Grenzen signalisieren: Bis hierher – und nicht weiter. Grenzen sind lästig. Grenzen entsprechen so gar nicht dem Bild einer dynamischen, expandierenden, mobilen Gesellschaft, die nicht nur in vielen Belangen an ihre Grenzen gehen, sondern diese auch überschreiten will. Wenn Grenzen, dann müssen sie fallen. Das trifft politische Gemeinschaften und ihre Ökonomien ebenso wie Technologien und die Verhaltensweisen von Individuen. Grenzen zu akzeptieren bedeutet, sich zu beschränken. Freiheit aber denken wir uns schrankenlos.

Nun ist alles anders. Nun werden Grenzen wieder definiert, kontrolliert und geschlossen, Grenzübertritte streng reglementiert oder gleich untersagt, Menschen werden auf engstem Raum eingeschlossen, andere ausgeschlossen, und die persönlichen Grenzen zwischen den Individuen, die stets ein verhandelbares Gut waren, werden beinhart gezogen – ein Meter Mindestabstand, besser zwei. Das Virus ruft nicht nur in Erinnerung, was Grenzen tatsächlich bedeuten, es demonstriert, dass Grenzenlosigkeit nicht immer und nicht unter allen Umständen ein Wert sein muss. Die rasche Ausbreitung des Virus hat selbstverständlich mit dem globalen Reiseverkehr, einem überbordenden Tourismus und dem problemlosen Ortswechsel quer über die Kontinente zu tun. Die neuen Grenzerfahrungen stellen deshalb einen Schock dar. Das, was nicht zurückkehren sollte, ist wieder da, omnipräsent, plötzlich bestimmendes und überdeutliches Moment des Alltags. Die Maßnahmen, die die Staaten dieser Erde setzen, um Covid-19 einzudämmen, die umfassenden und radikalen Einschränkungen, die sie dabei den Menschen abverlangen, widersprechen nahezu allem, was uns in den vergangenen Jahrzehnten heilig geworden war.

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