Gastkommentar

Ein europaweites Corona-Testprogramm ist dringend gebraucht

Wir plädieren für ein europaweites Corona-Testprogramm zur Evaluierung von Eindämmungsmaßnahmen.

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Das neue Coronavirus Sars-CoV-2 ist eine große Herausforderung für die Wissenschaft. Mediziner versuchen die Symptomatik und die Ansteckungsgefahr der durch das Virus ausgelösten Krankheit Covid-19 zu verstehen. Gleichzeitig werden Behandlungsprogramme und mögliche Impfvarianten klinisch getestet.

Die Wirtschaftswissenschaft steht vor der Herausforderung, gesellschaftliche Maßnahmen zu gestalten, die möglichst effizient sind, das heißt, die Verbreitung des Virus zu den geringstmöglichen Gesamtkosten eindämmen.

Wir könnten jetzt sehr viel von anderen Staaten lernen. Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit, wie Quarantäneverhängung oder Betriebsschließungen, könnten rasch auf ihre Effektivität hin überprüft werden, wenn es belegbare Zahlen über die Ausbreitung der Krankheit gibt. Diese gibt es aber leider nicht bzw. nicht in der nötigen Vergleichbarkeit, weil die Voraussetzungen für die Durchführung von Covid-19-Tests extrem unterschiedlich sind. Wir sind weitgehend auf Schätzungen angewiesen. Außerdem führt die unterschiedliche Testpolitik dazu, dass die Zahl der Erkrankten, die Zahl der Genesenen und die Mortalitätsraten nicht verglichen werden können, teilweise nicht einmal innerhalb eines Staates. Daher ist es unmöglich, den unschätzbaren Vorteil einer Gemeinschaft wie der EU zu nutzen.

Wir plädieren für ein zusätzliches europaweites Covid-19- Testprogramm. Dabei ist es wichtig, dass Testpersonen zufällig und repräsentativ ausgewählt werden, damit man belastbare Zahlen zur Ausbreitung der Krankheit hat. Alle Parameter sollen so gestaltet werden, dass weitgehende Vergleichbarkeit hergestellt werden kann. Die Europäische Kommission soll sich für ein solches Testprogramm einsetzen und es in gewissen zeitlichen Abständen europaweit koordinieren.

Mediziner verwenden Virustests, um kranke Personen behandeln zu können. Scheinbar gesunde Personen zu testen, mutet dann als Verschwendung an. Außerdem haben gerade die Schnelltests eine gewisse Fehlerwahrscheinlichkeit, was wiederum medizinisch problematisch ist. Im Gegensatz dazu brauchen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler gesicherte Informationen über den Verlauf der Epidemie. Sie interessieren sich nicht so sehr für die spezielle Gruppe derer, die Symptome zeigt. Sie wollen etwas über die gesamte Bevölkerung eines Landes erfahren. Für sie sind unsystematische Fehldiagnosen hinnehmbar, denn sie kosten keine Menschenleben. Sie können also auch mit Antikörper-Schnelltests arbeiten, wenn nur die Stichproben groß genug werden und die Tests nicht systematisch in eine Richtung verzerrt sind.

Irren wäre gefährlich

Ein Testprogramm muss schnell auf den Weg gebracht werden. Wir brauchen nicht nur, wie schon beschrieben, rigorose Evaluationen der schon umgesetzten Virus-Bekämpfungsmaßnahmen, sondern die richtigen Indikatoren für das Zurückfahren der Maßnahmen, wenn uns die Eindämmung gelungen ist. Diese Entscheidung auf Schätzungen zu basieren und dabei vielleicht zu irren, wäre offensichtlich sehr gefährlich. Klare Ansagen sind erforderlich, damit sich die Wirtschaft und die Bürger auch auf den Ausstieg aus den Quarantänemaßnahmen vorbereiten können. Schließlich brauchen wir die Zahlen auch, um nach einer hoffentlich rasch erfolgreichen Abwehr der Epidemie Argumente gegen jene zu haben, die behaupten, da wurde mit gigantischem Aufwand eine harmlose Maus bekämpft. Ex post lässt sich so eine Behauptung ja nicht widerlegen, wenn man nicht belastbare Zeitreihen hat.

Gabriel Felbermayr ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Martin G. Kocher leitet das Institut für Höhere Studien in Wien und ist Professor an der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

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