Wort der Woche

Noch viele Geheimnisse

Die Wissenschaft steht beim Sars-CoV-2 noch vor vielen Herausforderungen. Aberman kommt rasch voran.

Besuchte man dieser Tage die Website des Wissenschaftsmagazins „Science“, hätte man fast glauben können, dass man schon alles über das Coronavirus weiß. Denn bevor man noch zum Lesen der Neuigkeiten kam, poppte eine Werbung der US-Biotech-Firma ProMab auf, in der Covid-19-Hüllproteine und -Antikörper zum Kauf angeboten wurden; als mögliche Anwendungen wurden „serologische Diagnose, Prophylaxe, Therapie“ angepriesen. Na ja. Das ist, sagen wir, etwas übertrieben.

Beim Weiterscrollen wurde nämlich sofort klar, dass das Virus noch viele Geheimnisse verbirgt. Zwar wurde niemals zuvor der Erreger einer neuen Erkrankung so rasch nachgewiesen und aufgeklärt – zwischen dem ersten dokumentierten Fall und der Sequenzierung vergingen gerade einmal sechs Wochen. Doch dieses Wissen hat unsere Unkenntnis über das Virus und sein Verhalten höchstens ein bisschen verkleinert. Das beginnt damit, dass man selbst bei den elementarsten epidemiologischen Kennzahlen, wie etwa Ansteckungs- oder Sterblichkeitsrate, auf mehr oder weniger genaue Schätzungen angewiesen ist – und das, obwohl es weltweit schon mehr als eine Viertelmillion bestätigter Krankheitsfälle und über 12.000 Todesopfer gibt. Das hängt damit zusammen, dass die Testung in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich abläuft und dass die Dunkelziffer von Infizierten, bei denen keine Diagnose vorliegt, unbekannt ist. In dieser Zeitung wurde kürzlich berichtet, dass viermal mehr Menschen infiziert seien als positiv getestet wurden; chinesische Forscher kamen dieser Tage sogar auf eine Dunkelziffer von 86 Prozent.

Unbekannt ist zurzeit auch, wie sich das Virus verhalten wird, wenn es wärmer wird. Zeigt seine Virulenz, so wie z. B. Grippe, einen jahreszeitlichen Verlauf? Oder wird sie im Sommer gleich hoch bleiben? Eine große und gerade viel diskutierte Frage ist, warum Afrika bisher weitgehend verschont geblieben ist – und wie lang noch (siehe S. 38)? Liegt es an den hohen Temperaturen? Oder daran, dass Afrika in Sachen Globalisierung nachhinkt? Und – sehr relevant: Wie „verträgt“ sich Covid-19 mit andern Seuchen wie HIV oder Tuberkulose?
Fragen über Fragen also – die in nächster Zeit sicherlich Antworten finden werden. Denn die Wissenschaft macht rasante Fortschritte. So wurde kürzlich sogar zweifelsfrei geklärt, dass Covid-19 kein Konstrukt aus dem Labor ist (wie Verschwörungstheoretiker meinten), sondern definitiv von Tieren – wahrscheinlich von Fledermäusen – auf den Menschen übergesprungen ist.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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