Endlich wieder ein ganz normaler Tag

Privat
  • Drucken

Die Museen haben zu, aber es ist Montag. Das ist normal. Kann man sich zumindest einbilden. Ich blättere also in Van-Eyck-Katalogen und suche Bärlauch. Die Pflanze des freiwilligen Social Distancing.

Endlich wieder ein ganz normaler Tag. Also für uns Kunstmenschen. Es ist Montag - und die Museen haben geschlossen. Herrlich. Wie immer. Bis aufs Leopold Museum, das am Dienstag „blau macht“. Kurz war ich versucht, diesem „blau machen“ etymologisch auf den Grund zu gehen. Habe auf Wikipedia nachgelesen, sogar meinen alten Brockhaus hervorgekramt – wann habe ich das nur das letzte Mal getan? Keine Ahnung. Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß. In Brockhaus und Wikipedia stehen völlig unterschiedliche Dinge. Das ist nichts für ungeduldige Gemüter, da mache ich lieber selber blau. Mein Wochenende war anstrengend genug.

Ich habe es damit verbracht, womit die meisten meiner Kollegen ihre letzte Arbeitswoche verbracht haben - nämlich sich durch die mehr oder weniger mühsamen Online-Kunstangeboten zu klicken. Das ist wenig erbaulich, auch wenig originell, aber aufwändig zu recherchieren, eine wunderbare Ablenkung also zumindest für uns. Welche Leserin, welche Leser, welcher leidenschaftliche Museumsbesucher tatsächlich jetzt vor dem Computer sitzt und online vor der Kunst meditiert, das würde ich ja gerne wissen. Ich schätze, fast niemand. Ich jedenfalls sicher nicht. Noch mehr Bildschirmzeit ist so ungefähr das Allerletzte, das ich für mich und auch meine Kinder jetzt will. Allerdings habe ich leicht reden, ich bin zu Hause umgeben von hunderten Kunstkatalogen.

Wir sitzen also am Boden und blättern fette Kunstkataloge durch. Gerade eben Jan van Eyck, zugegeben doch angeregt von meiner Online-Museums-Recherche, bei der ich mich an meine letzte Kunstreise erinnerte, nach Gent, zur „Ausstellung des Jahres“, die ebenfalls jetzt früher enden musste. Mein Beileid allen, die sich noch Tickets sichern konnten und jetzt nicht reisen dürfen – Sie haben wirklich was versäumt. Sorry to say. Die Seite closertovaneyck könnte Sie jetzt ein bisschen trösten zumindest. Aber zu sehen, wie eine ganze Stadt von einer perfekten flämischen Marketingmaschinerie in einen kollektiven Kunsttaumel getrieben wurde, war schon extrem interessant. Noch nie habe ich auch ein touristisch derartig durchkalkuliertes Spektakel gesehen. Ganz Gent war Jan van Eyck.

Auch kulinarisch. Es gab sogar eine eigene Broschüre mit Rezepten aus dem späten Mittelalter, mit Gerichten, die irgendwie mit van Eyck zusammenhingen. Jetzt hätte ich die Zeit, etwas daraus zu probieren. Aber wie immer – man wirft genau die falschen Sachen weg. Dabei hätte mich nicht gewundert, wenn auch ein Bärlauch-Rezept zu finden gewesen wäre. Hat Van Eyck doch die Natur so vielfältig und realistisch dargestellt wie niemand zuvor in der Malerei. Nicht um ihrer selbst Willen allerdings, sondern aus einer theologischen Mission heraus.

Im Zuge der beeindruckenden Restaurierung des Genter Altars haben Forscher allein auf den Altartafeln 75 verschiedene Pflanzenarten identifiziert. Ob Bärlauch dabei war? Ich suche – und finde im ganzen Van-Eyck-Katalog nur Maiglöckchen. Auch Bildwelten können gefährlich sein also. Meiner Tochter gefallen derweilen beim Blättern die Engel mit den Regenbogenflügeln am besten. Der Sohn hat noch Schule am Esstisch.

Vielleicht sollten wir abends Bärlauchpesto machen. Ich habe ein erprobtes Rezept dafür, das bei einer Freundin einmal eine einwöchige Ehekrise auslöste. Ihr Mann wirft mir das bis heute vor. Der Bärlauch aber sprießt wohl nicht von ungefähr genau jetzt, zum Ausbruch von Corona. Er tut es, um uns das Social Distancing dramatisch zu erleichtern. Vielleicht wird er in zukünftige Ikonografien dafür einmal eingehen – keep healthy and keep your distance.  

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.