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Wie der Ball den Rasen eroberte

Steinmetz Fergus Suter (Kevin Guthrie; l.) fordert mit der Arbeitermannschaft die „feinen Pinkel“ der Old Etonians um Arthur Kinnaird (Edward Holcroft) heraus.
Steinmetz Fergus Suter (Kevin Guthrie; l.) fordert mit der Arbeitermannschaft die „feinen Pinkel“ der Old Etonians um Arthur Kinnaird (Edward Holcroft) heraus.(c) Netflix
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„Downton Abbey“-Erfinder Julian Fellowes erzählt in „The English Game“ von den Anfängen des Fußballs – und von schreiender Ungerechtigkeit in viktorianischen Zeiten.

In britischen Adelskreisen kennt sich Julian Fellowes, Baron of West Stafford, bestens aus. Ebenso mit Standesdünkeln. Der Diplomatensohn, der Englische Literatur in Cambridge und Schauspiel studierte, musste sich als Mitglied des Landadels seine Stellung innerhalb der noblen Gesellschaft erst erarbeiten. Und er erlebte in der oft von Geldsorgen geplagten Schauspielerclique zum ersten Mal, was es bedeutet, nicht der Upperclass anzugehören. Sein Wissen um beide Seiten und das Interesse an historischen Stoffen lässt Fellowes in seine Drehbücher einfließen – von Robert Altmans schwarzhumorigem „Gosford Park“, das ihm einen Drehbuch-Oscar einbrachte, bis zu Fernsehstoff wie „Downton Abbey“. In „The English Game“ wendet er sich nun den Anfängen des Fußballs zu – und liefert, wo die Quarantäne so manchen zu sportlicher Enthaltsamkeit zwingt, ein spannendes Sport- und Gesellschaftsdrama.

1879 war Fußball ein Amateurspiel und Zeitvertreib für reiche Herren, die sich bei der Dinnerparty vor dem Spiel mit Hummer und Champagner labten. Doch auch auf den Straßen spielten die Buben Fußball – mit aus schmutzigen Lappen geknoteten Bällen. Später als Arbeiter war ihnen die Teilnahme an Turnieren nur unter größten Entbehrungen möglich: Wer spielen wollte, musste sich frei nehmen. Ohne Lohnersatz, versteht sich. Und bezahlt werden durften die Spieler auch nicht. Die Fahrkarte an den Einsatzort war für viele unerschwinglich, und Zuschauerunterstützung gab's auch nur für die, deren Fans sich ein Ticket leisten konnten. So blieb der (Geld-)Adel, wenn's um den FA Cup ging – die 1871/72 gegründete, älteste nationale Fußballmeisterschaft der Welt – zunächst unter sich.

„Ertüchtigung für junge Knaben“

In „The English Game“ lässt Fellowes diese zwei Welten (und zwei historische Figuren) aufeinanderprallen, die in einem doch vereint waren: in ihrer Liebe für den Fußballsport. Bankierssohn Lord Arthur Kinnaird (Edward Holcroft) war einer der ersten englischen Fußball-Stars überhaupt. Er spielte neun FA-Cup-Finali – dreimal war er unter den Siegern, zweimal waren es die Old Etonians, die er in der Serie gegen die zunächst unterschätzte Konkurrenz aus der Arbeiterschaft anführt. Vater Kinnaird rümpft ob des sportlichen Hobbys seines Sohns pikiert die Nase: Er halte Fußball „für eine gute Ertüchtigungsübung für junge Knaben“, sagt er einmal und tadelt ihn: „Du hast Schlamm im Bart.“

Auf der anderen Seite steht Steinmetz Fergus „Fergie“ Suter (Kevin Guthrie), der als erster Profi-Spieler gilt, weil er für seine Leistungen – und für den Wechsel zu einem anderen Klub – bezahlt wurde. Mit dem Schlachtruf „Los, hauen wir die feinen Pinkel von ihren hohen Rössern“ stürzen sich die Unterprivilegierten in die Schlacht, um als erste Arbeitermannschaft den FA Cup für sich zu entscheiden. Auch wenn Fellowes dann von der historischen Wahrheit abweicht: Er macht aus dieser Rivalität ein spannendes Drama, man muss kein Fußballfan sein, um da hineinzukippen.

Geschickt webt er gesellschaftliche Themen wie das schreiende soziale Unrecht des viktorianischen England in den Handlungsstrang ein: Ausbeutung, Gewalt gegen Frauen, Kinderhandel ... Als sich ein Spieler schwer am Beim verletzt, glaubt er, „das Leben ist zu Ende“. Doch so weit lässt es Fellowes nicht kommen, denn er erzählt auch von Freundschaft, Solidarität und Fairness. Vom Kampfgeist und der sportlichen Haltung Suters beeindruckt, ist Kinnaird der Erste, der erkennt, dass Fußball mehr ist als ein nobler Wettkampf auf englischem Rasen. Dass das Spiel nicht nur zu Prügeleien führt (die Emotionen gingen schon damals hoch), sondern zu Zusammenhalt und Stabilität: „Das Spiel nährt ihre Seelen“, sagt er über die Arbeiter, „denn sie haben nicht viel anderes im Leben.“ Alles steuert auf ein Happy End zu. Das tut gut. Gerade jetzt.

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