Corona Briefing Tag 9

Warum es bei uns vergleichsweise fast locker bleibt und welche Generalin ungehört vor einer Pandemie warnte

Clemens Fabry/Die Presse
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Boris Johnson verlässt der Herden-Mut und Sicherheitspapiere sollte man auch ernst nehmen.

Guten Morgen, Frankreich verschärft seine Ausgangsbeschränkungen, Radfahren ist nicht mehr erlaubt. Spazieren nur in einem engen Radius um den eigenen Wohnort. Der britische Premier Boris Johnson schwenkt angesichts massiv steigender Fall- und Todeszahlen ebenfalls um und verkündet einen dreiwöchigen Lockdown. Seine anfängliche Strategie, eine schnelle Durchseuchung zuzulassen, um eine sogenannte Herdenimmunität der Bevölkerung zu erreichen und damit das Virus zu stoppen, ist damit beendet und wohl auch gescheitert.

Nicht einmal zehn Tage nachdem die österreichische Regierung der staunenden, erschreckten Öffentlichkeit die Ausgangsbeschränkungen und die Schließung von Geschäften und Lokalen verkündete, ist dies Normalität in vielen europäischen Ländern. In Österreich wird das  nun vergleichsweise lockert gehandhabt, was wiederum auch auf die überraschend hohe Disziplin der Bürger zurückzuführen ist. Spazieren, Laufen und Radfahren ist erlaubt, der Eindruck, dass ein Land in der Not gerade sportlicher wird, drängt sich bei Beobachtern auf, die ruhende Mehrheit ist aber wohl mit TV, Streaming und Vorratsauf- und -einteilung beschäftigt.

Freundlich sind etwa die Fragen & Antworten zur entsprechenden Verordnung auf der Homepage des Gesundheitsressorts, wo präzise geregelt ist, was man darf und was nicht, also etwa die Versorgungsfahrt zum eigenen Pferd in den Stall antreten. Darf man! Ist auch nicht ironisch gemeint. Die Frage mit dem Wochenendhaus wurde interessanterweise nie wirklich diskutiert, vermutlich wollte man keine schlafenden Städter wecken, aber eine Anfrage an Gesundheitsressort ergibt: Man darf. Das fällt übrigens unter „Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse“. Glückliches Österreich.

Aber ganz im Ernst: Die Disziplin und Distanz wird in den kommenden – sagen wir einmal mindestens noch vier – Wochen so wichtig sein, um die rasche Ausbreitung des Virus zu bremsen und noch härtere Maßnahmen statt den bestehenden Augenmaß-Bestimmungen nicht notwendig zu machen. Denn fest steht, dass am Ostermontag, dem 13. April, sicher nicht mit Mitternacht der gesamte Betrieb wieder losgeht. Noch gibt es keine echten beruhigenden Informationen oder Jubelnachrichten, die ein baldiges Ende wahrscheinlich machen. Das Gegenteil ist aber auch unrealistisch, also völliger Quarantäne-Stillstand bis in den Herbst…

Eine einzige positive Meldung gibt es: Die Sterberate ist bisher geringer als in anderen Ländern und als sie erwartet worden war. Entweder es wird leider noch schlimmer oder es gibt da einen Grund, warum Österreich bisher anders als Italien zu sein scheint. Und nein, niemand weiß wieso. Was alle wissen: Wir brauchen mehr Schutzkleidung für die Spitäler und Ärzte sowie mehr Tests.

Zwischen fahrlässig kruden Verharmlosern („Im Straßenverkehr sterben viel mehr!“) und panischen Hysterikern („Die großen Städte fallen als erste“.) fällt es manchmal schwer, die Vernunft zu formulieren. In der „Wiener Zeitung“ am Samstag wurde eine ihrer Stimmen veröffentlicht: Der kluge Ökonom und Denker Tomas Sedlacek aus Tschechien sagt zur aufziehenden Wirtschaftskrise trocken: Wir werden es spüren, aber es wird uns nicht ruinieren. Also die Mehrheit nicht. Anders formuliert: Es ist gerade eine schwierige Pause für die Wirtschaft, aber nach einigen Monaten kann und muss sie wieder hochgefahren werden. Es gibt einen riesigen Unterschied zur Banken- und Finanzkrise: Nach 2008 war der Neustart dank Kreditklemme durch Finanzregularien sehr schwierig. Das sollte diesmal anders sein.

Und noch eine Zitierung eines befreundeten Mediums. Das „Profil“ berichtet von einem prophetischen Text in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“ der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, da heißt es in einem Artikel von Brigadierin Sylvia-Carolina Sperandio: „Auch wenn Österreich und die EU die letzten Pandemien von Schweinegrippe und SARS mit nur wenigen Todesfällen eher unbeschadet überstanden hat, sollte das nicht über ein mögliches Risiko mit weit größeren Auswirkungen hinwegtäuschen.“ Und weiter: „Die Vorbereitung auf eine Pandemie muss ein prioritäres Ziel der Regierung und der österreichischen Sicherheitsstrategie sein.“ Und vor allem: „Die Strukturen für Quarantänestationen, Hochisolierungseinheiten und Patientenmöglichkeiten sind zu erweitern.“ Hat das keiner gelesen? Erstens kaum wer. Zweitens waren diese Warnungen nicht neu. So wie auch immer wieder die Infrastruktur-Spezialisten in den Sicherheitsressorts vor einem möglichen Blackout warnen, wurde immer wieder auf das Risiko einer Pandemie hingewiesen. Nun ist es wirklich passiert.

Die kleine Geste der Polizei, um Punkt 18 Uhr Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ zu spielen ging wohl auf, viele freuen sich, Twitter hat ein Erregungsthema und kommt nicht auf ernste Kritik. Bei mir löste der Musikeinsatz gestern Punkt 18 Uhr eine kleine Instant-Traurigkeit aus: Ein einsamer Streifenwagen spielte den Song zwischen den verwaisten Abgeordneten-Container am kalten Wiener Heldenplatz, außer mir war kaum wer da, die Läufer waren schon geflüchtet. Vermutlich rauchte auch keiner in der Präsidentschaftskanzlei, Alexander Van der Bellen war sicher schon oder noch beim 5-Uhr-Tee im Home-Office. Mich machte das schon früher in den AUA-Charter-Maschinen bei der Landung in Wien melancholisch, mit „I am from Austria“ waren meine – griechischen – Sommerferien endgültig zu Ende. Und vielleicht drängelten deswegen immer alle so beim Verlassen der Maschine.

Zuletzt spielte die AUA bei der Heimkehr übrigens den Donauwalzer. Sag ich nur so. Bis morgen!

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