Tote Kulis und ein schwer übersetzbares „Sir“: Das Lesen hat mir zeitlebens Rätsel aufgegeben, von Karl May bis Karl Marx.
Mehr Zeit für Bücher hat man jetzt. Doch seltsam: Das Lesen, weil man sonst wenig tun kann, macht keine rechte Freude. Die neue Karl-Kraus-Biografie von Jens Malte Fischer ist gut, aber die Gedanken schweifen ab. Wie hat es begonnen, das Lesen? Sieben Jahre war ich. Vor mir stand ein alter Mann. „Da musst du hineinreden!“ Er zeigte auf ein Kästchen vor seinem Bauch. „Da hinein!“ Ein dünner Draht führte nach oben zu einem zweiten Kästchen. Das hielt er ans Ohr. Er war schwerhörig. Ein Kriegsschaden. Jetzt verwaltete er die kleine Gemeindebibliothek. „Kann ich ein Buch ausleihen?“, stammelte ich. „Lauter! Was denn?“ „Haben Sie Karl May, bitte?“ Er hatte.
Alle Bände, die es gab, las ich. Beim Einschlafen fühlte ich mich im Lande des Mahdi, in den Schluchten des Balkans oder zwischen Bagdad und Damaskus. Old Shatterhand faszinierte mich, aber manches gab Rätsel auf. Etwa die Anrede „Sir“. In der Fußnote wurde sie mit „Mein Herr“ übersetzt – doch so sprach niemand bei uns! Dass man „Sioux“ als „Ssu!“ aussprechen sollte, kam mir seltsam vor. Als Karl May ausgelesen war, kamen Schundhefte an die Reihe: Rolf Torring, Pitt Strong, Massa Pongo.