EU-Erweiterung

Hoffnungsschimmer für den Westbalkan

Im Basar von Skopje werden Flaggen von Nordmazedonien, der EU und Albanien – in schon  etwas verblasstem Rot – angeboten.
Im Basar von Skopje werden Flaggen von Nordmazedonien, der EU und Albanien – in schon etwas verblasstem Rot – angeboten.(c) APA/AFP/ROBERT ATANASOVSKI
  • Drucken

Mit einem halben Jahr Verspätung einigte sich die EU darauf, Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien zu beginnen. Die Pandemie und die Angst vor geopolitischem Machtverlust trieben sie dazu an.

Brüssel. So makaber es klingen mag: Der pandemische Ausbruch des Coronavirus Covid-19 hat den Beschluss der 27 Mitgliedstaaten, mit Albanien und Nordmazedonien über einen etwaigen Beitritt zur Union zu verhandeln, wesentlich erleichtert. „Im Windschatten dieser Krise war die öffentliche Aufmerksamkeit anderswo“, sagte Steven Blockmans, Professor an der Universität Amsterdam und Außenpolitikchef des Brüsseler Thinktanks Centre for European Policy Studies, im Gespräch mit der „Presse“. Dieser Befund trifft vor allem auf Frankreich zu. Dessen Präsident, Emmanuel Macron, hatte vor einem halben Jahr mit seinem Veto gegen die Eröffnung dieser Verhandlungen nicht nur miese Stimmung gegenüber Frankreich auf dem Westbalkan entfacht. Auch innerhalb der EU sorgte Macrons Verweigerung für böses Blut. Selbst die Regierungen Dänemarks und der Niederlande, die in der Frage von Albaniens Beitrittstauglichkeit auf derselben Linie wie Paris waren, konnten diese Haltung gegenüber Nordmazedonien nicht verstehen. Immerhin hatte die kleine frühere jugoslawische Teilrepublik sogar per Verfassungsänderung einen neuen Namen angenommen, um den jahrzehntelangen Streit mit Griechenland und dessen Blockade zu überwinden.

Doch am Dienstag waren sich die 27 Europaminister einig: Die Beitrittsverhandlungen mit den beiden Staaten sind aus dreierlei Erwägungen notwendig. Weil die Union andernfalls erstens den Wettstreit mit China, Russland, der Türkei um die politische Anziehungskraft auf dem Balkan verlieren und damit seinen ohnehin begrenzten geopolitischen Einfluss noch mehr schmälern würde. Diese Gefahr versinnbildlichte sich an der bemerkenswerten Pressekonferenz des serbischen Präsidenten, Aleksandar Vučić, vorige Woche, bei der er erklärte, die europäische Solidarität sei „ein Ammenmärchen“ und China das einzige Land, welches Serbien nun helfen könne.

Zweitens erfassten die EU-Regierungen die Gefahr, dass sich die Seuche auf dem Westbalkan, also gleichsam vor ihrer Haustür, ohne Hilfe von außen nicht bekämpfen lassen werde. „Auf europäischer Ebene kann man derzeit über kein Thema reden, ohne auch über Covid-19 zu reden“, sagte Österreichs Europaministerin, Karoline Edtstadler, nach Ende der in Form einer Videokonferenz veranstalteten Ministersitzung. So habe man sich darüber verständigt, „wie man diesen Staaten helfen kann und, wie ich finde, helfen muss. Es gab heute totale Einigkeit hinsichtlich Albaniens und Nordmazedoniens.“

Drittens hat Macrons Veto zu einer Schärfung des Bewusstseins für die Probleme bei der Osterweiterung der EU und den laufenden Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro geführt. Vor einigen Wochen hatte die Europäische Kommission eine Mitteilung über die Bedingungen des Beitrittsverfahrens an sich vorgelegt. Inhaltlich stand darin zwar nichts Neues: Dafür hätte es einen womöglich langwierigen Gesetzgebungsakt gebraucht. Doch der Ton dieser politischen Erklärung aus Brüssel – mehr Gewicht auf Rechtsstaatlichkeit und Kampf gegen organisiertes Verbrechen – erleichterte es Macron, sich aus seiner Ecke freizuspielen: „Macron hat das Sperrfeuer der Kritik an seiner Entscheidung, die Beitrittsgespräche zu blockieren, unterschätzt. Die Mitteilung der Kommission hat es ihm, den Niederlanden und Dänemark nun ermöglicht, würdevoll von jener Leiter herunterzuklettern, die sie sich selbst aufgestellt haben“, sagte Blockmans.

»"Die EU hat jetzt ihren Teil der Abmachung mit den Westbalkan-Staaten eingehalten."«

Steven Blockmans, Universität Amsterdam

Verhandlungsbeginn heuer möglich

In der Sache selbst habe sich seit Herbst wenig geändert, gibt er zu bedenken. Substanzielle Reformen habe es weder in Skopje noch in Tirana gegeben. Insofern liege der Ball nun, sprichwörtlich, auf der Spielfeldseite der Beitrittskandidaten in spe: „Die EU hat jetzt ihren Teil der Abmachung eingehalten.“ Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi schlug in dieselbe Kerbe: „Es wird nicht genug sein, bloß Gesetze zu erlassen. Sie müssen auch richtig umgesetzt und vollzogen werden und jene Ergebnisse liefern, welche die Mitgliedstaaten erwarten.“

Der Auftakt der Verhandlungen könnte, so die Pandemie dies zulässt, noch heuer erfolgen. Ob jedoch die EU-Westbalkan-Gipfelkonferenz Anfang Mai in Zagreb wie geplant dafür wird dienen können, ist fraglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

In Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje ist es derzeit wegen des Coronavirus ebenso ruhig wie in den meisten anderen Städten Europas.
Europa

EU will Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien aufnehmen

Eine neue Methodik soll den Beitrittsprozess steuerbarer und systematischer machen, sagt Europaministerin Edtstadler. Die Regierungschefs müssen noch zustimmen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.