Replik

Grenzenlose Solidarität gegen ein Virus, das sich nicht an Grenzen hält

Wir leben in einem Ausnahmezustand. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges standen wir als Gesellschaft nicht mehr vor solchen Herausforderungen, die das Leben eines jeden einzelnen so erschüttert haben.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Es gibt kein Drehbuch, keinen Präzedenzfall, keine geübte Routine. Schon aus heutiger Perspektive werden Fehler deutlich, wenn wir nach London oder ins Tiroler Ischgl blicken und ja, leider auch nach Brüssel. Die EU hat zu lange gezögert und wertvolle Zeit verstreichen lassen. Aber welches Mitgliedsland hat das nicht? 27 dieser Mitgliedsstaaten im Krisenmodus auf den gleichen Stand zu bringen und zu koordinieren, ist eine Mammutaufgabe.

Wenn Karl-Peter Schwarz in seiner „Quergeschrieben"-Kolumne „Wenn wir Grenzen abschaffen, kriegen wir Probleme ohne Grenzen“ (vom 18.3.2020), behauptet, die EU würde nicht zur Eindämmung von Covid-19 beitragen, geht es nicht um notwendige Manöverkritik, sondern um das in Stellung bringen alter Ressentiments gegen ein europäisches Einigungsprojekt. Das offenbart eine politische Agenda, der nichts daran liegt aus dieser Krise wirklich etwas zu lernen. Dem gegenüber stellt sich die Frage, wie weit wir heute schon wären, hätten wir von Beginn an konsequent und solidarisch als EU auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert.

Mit Beginn dieser Woche besteht über die Dringlichkeit jedenfalls kein Zweifel mehr. Die EU ist jetzt im vollen Krisenmodus angekommen und das ist gut so. Die Staats- und Regierungschefs traten per Videokonferenz zum Sondergipfel zusammen, die öffentliche Gesundheit ist jetzt Priorität Nummer eins. Gleichzeitig legen EU-Kommission und EZB Notfallprogramme in Milliardenhöhe auf und man setzt alles in Bewegung, um den Binnenmarkt - das Rückgrat unserer Wirtschaftskraft - auch bei notwendiger Abschottung am Laufen zu halten. Logisch wäre jetzt, ein ganzheitlicher Plan zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln, Arzneimitteln und medizinischer Betreuung. Am Konstruktionsfehler der mangelnden Kompetenz tragen die EU-Institutionen aber keine Schuld. Verglichen mit der nicht vorhandenen Koordination zwischen Vorarlberg und Tirol im Skigebiet Arlberg, hat die EU sogar relativ schnell reagiert.

Blick zurück in die Geschichte

In diesen schwierigen Zeiten kann uns der Blick zurück in die Geschichte einiges lehren, aber dabei dürfen wir die Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts nicht außer Acht lassen. Vor allem stehen wir jetzt vor dem großen Test, europäische Solidarität nicht länger als müde Überschrift abzutun, sondern Wirklichkeit werden zu lassen. Das Coronavirus schert sich nicht um geographische Grenzen und deshalb ist ein Mehr an europäischer Kooperation der Schlüssel zum Erfolg.

Wenn Karl-Peter Schwarz auf Kasimir den Großen verweist, der Mitte des 14. Jahrhunderts während der Pest in Europa die Grenze zu Polen geschlossen hat, springt einem eine Parallele zu heute natürlich ins Auge. Auch 600 Jahre später verhindern nationale Alleingänge europäische Lösungen – und vor allem europäische Solidarität.

Wer nicht nur in Geschichtsbüchern, sondern auch in der Literatur nach Ansätzen sucht, wird bei Albert Camus fündig. Sein Werk „Die Pest“ dürfte nicht ohne Grund in der aktuellen Situation wieder öfter gelesen werden. Er hat darin den tröstenden Satz geschrieben: "... wir lernen in einer Zeit der Seuche, dass es in den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt."

Aufeinander zu schauen bedeutet in diesem Moment auf vieles, das uns lieb ist, zu verzichten, um andere zu schützen.

Wie die EU diese Krise meistert und welche Lehren wir für unsere Zukunft ziehen, wird die Geschichte zeigen. Ich setze mich dafür ein, dass wir diese Chance für ein solidarischeres und gerechtes Europa der Zukunft nutzen. Das wäre ein riesengroßer Gewinn für uns alle.

Andreas Schieder ist SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament.

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