Saisonaler Aussetzer

Frühling 2020, eine verlorene Saison

Social Distancing. Demna Gvasalia erahnte bei Balenciaga für Herbst 2020 die Stimmung.
Social Distancing. Demna Gvasalia erahnte bei Balenciaga für Herbst 2020 die Stimmung.(c) Balenciaga
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Tage der Ratlosigkeit und des Wartens: Wie es weitergeht in der Mode, ist ungewiss. Mit Sicherheit aber wird sich vieles ändern.

Geschöpfe der Nacht, vielleicht sogar der ewigen Dunkelheit, in bedrohliches Schwarz gehüllt, schreiten über einen gefluteten Laufsteg unter der Videoprojektion eines bedrohlichen, feuerwolkenschweren Himmels: Das war das Szenario der Balenciaga-Modeschau vor wenigen Wochen in Paris, ein Stimmungsbarometer ganz im Sinne von Designer Demna Gvasalia. Er reagierte damit aber wohl nicht auf die tagesaktuelle Situation, das lassen die Vorproduktionszyklen kaum zu. Doch seine Entwürfe ließen sich lesen als die Auswertung eines kreativen Seismografen mit großem Präzisionsgrad. Ein düsteres Bild braute sich vor den Augen aller Zusehenden zusammen, und diese Düsternis wird der Modebranche wohl bis auf Weiteres erhalten bleiben.

Dystopische Ansätze wie jener Gvasalias sind andererseits nichts Neues, bei manchen Designern gehören sie gar zur kreativen DNA, wie man so schön sagt. Rick Owens etwa ist ein Dauerwegbereiter von solcher Nachtschattenhaftigkeit, oder, blickt man zurück in die 1980er, dann auch Rei Kawakubo mit ihren – wie die Kritik das damals nannte – postnuklearen Visionen für Comme des Garçons. Raf Simons scheint ob seiner Schutzbekleidungsoutfits der Sommersaison, vorgestellt vor einem Dreivierteljahr, gar hellseherische Kräfte entfesselt zu haben.

Schutzkleidung. Urban Warriors – ein Thema bei Raf Simons in der aktuellen Kollektion.
Schutzkleidung. Urban Warriors – ein Thema bei Raf Simons in der aktuellen Kollektion.(c) Raf Simons

Plötzlich im Schreckzustand. Die Situation, in die sich diese Modeentwürfe einschreiben, wird schon seit Jahren von rasanten und radikalen Veränderungsprozessen charakterisiert: Zuversicht und Verunsicherung wechseln einander ab. Besonders in der Luxusmode, die in erster Linie ein hochpreisiges Konsumprodukt darstellt, herrscht letzthin viel Kopfzerbrechen darüber, wie man zeitgemäß agieren soll.

Traditionelle Modelle stationären Handels ohne virtuelle Verlängerung und ohne Entertainmentfaktor wirken plötzlich angegraut. Das Festhalten an ihnen könnte sich nun bitter rächen: Wer, wie das Maison Chanel, keine nennenswerte E-Commerce-Präsenz aufgebaut hat, kann nun potenzielle Kundinnen nicht ins Web umlenken und so Umsatzeinbußen abfedern. Als Karl Lagerfeld seine Winterkollektion 2014 in einem Chanel Shopping Center zeigte, war das noch ein augenzwinkernder Fingerzeig auf ein überhitzt wirkendes System. Im Nachhinein wirkt derlei beinahe wie Hybris.

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