Autogeschichte

Woran wir uns erinnern werden

Scheunenfund. Die Zeit konnte diesem Mercedes-Benz 300 SL nur wenig anhaben.
Scheunenfund. Die Zeit konnte diesem Mercedes-Benz 300 SL nur wenig anhaben.(c) Beigestellt
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Irgendwann werden wir zurückschauen und uns über die schönen Relikte jener Tage freuen. Und die anderen gern vergessen.

In der gut 130-jährigen Geschichte des Automobils gab es viele Strömungen, Ären und Epochen, aber die größten Marksteine setzten zwei Kriege. Die hellsichtigeren Zeitgenossen mögen sie vorhergesehen, die weniger hellen herbeigesehnt haben, aber eine Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten, hatte die zivile Industrie nicht. Es passierte, und man reagierte. Oder eher: folgte.

Denn verordnet wurde den Produktionsstätten nun der Schwenk auf Rüstungsgüter. Der französische Indus­trielle André Citroën sollte sein Autoimperium erst auf der Herstellung von 26 Millionen Granaten in den Tagen des Ersten Weltkriegs gründen. Die Zeit für einen Neuankömmling in der Branche war auch günstig: Von zuvor 155  Autoproduzenten in Frankreich hatte den Krieg nur etwa die Hälfte überlebt. Nicht jeder hatte auf Bomben und Panzer umsatteln können, und für nicht Kriegswichtiges gab es keine Rohstoffe. Man überdauerte irgendwie oder ging unter.

Der zeitweise komplette Stillstand einer zuvor noch galoppierenden Sparte führte deshalb zur Unterscheidung in Vorkriegs- und Nachkriegsautos – im Fall des Zweiten Weltkriegs wesentlich markanter als im Ersten, als das Auto noch weit von seiner späteren indus­triepolitischen Bedeutung entfernt war.

Amerika indes nutzte den verheerenden Taumel, in den sich Europa mit größtem Eifer stürzte, und erfand die Massenproduktion von Autos. Spätestens 1914 liefen in Detroit die ersten Model T aus der Fabrik des Henry Ford vom Band. Das Auto, wiewohl in Europa erfunden, erlebte seine erste Hochblüte in den USA, dem Pionierland der Massenmotorisierung. Dass die drei Großen aus Detroit, GM, Ford, Chrysler, auf Jahrzehnte die mächtigsten Car Companies der Welt sein sollten, ist die Folge einer Disruption.

»"Disruption machte US-Companys zu den mächtigsten der Welt."«

Adaption. Eine solche Disruption wird der Branche nun seit vielen Jahren wieder vorhergesagt; Elektromobilität, Sharing-Kultur und autonomes Fahren sollen sie bringen. Aber derlei führte bisher allenfalls zu Adaptionsprozessen, auf die sich die trägen, aber doch auch kampferprobten und wehrhaften großen Hersteller mittlerweile eingelassen haben. In den meisten Fällen ließen sie sich von den aggressiven, gehypten Start-ups und ihren neuen Ideen nicht in Bedrängnis bringen, sondern kauften die kleinen Buden kurzerhand auf und woben deren Know-how in die eigene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit ein.

Disruption aber sieht anders aus. Sie kommt in aller Regel ohne Ansage. Zum Beispiel in Form einer welt­weiten Gesundheitskrise, in der Werke reihenweise die Produktion nicht bloß drosseln, sondern komplett he­runterfahren, ein in dieser Form beispielloser Vorgang in der Nachkriegszeit. Und wir können uns darauf einstellen, dass es nach ihrer Überwindung nicht einfach so weitergehen wird wie zuvor. Mit einem großen Technologiesprung rechnen nur sehr optimistische Naturen. Wahrscheinlicher ist eine zumindest zeitweise Ära einer neuen Bescheidenheit. Schließlich herrscht nicht nur in Autowerken gespenstische Ruhe, sondern auch in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, so ihr Zweck nicht mit der Gesundheitskrise verbunden ist.

Nennen wir es New Modesty, damit es trendfähiger klingt: Die Besinnung auf ursächliche Mobilitätsbedürfnisse unter Rücksichtnahme ökologischer und ökonomischer Rahmenbedingungen. Soll heißen: Wir werden es vermutlich alle eine Nummer kleiner geben. Ein Zweieinhalb-Tonnen-SUV, egal mit welchem Antriebskonzept, war schon bisher kein Auto, das der Realität dieser Welt, dieses Planeten entsprochen hätte. Man leistete sich derlei bloß, weil man konnte. In Europa kopierten wir damit ohnehin nur US-amerikanische Verhältnisse. Davon zeugen schon Parkgaragen, in denen zwei nebeneinander geparkte SUV den Insassen keinen Platz mehr zum Aussteigen lassen. Es wird gut sein, wenn wir diese Ära hinter uns gebracht haben. Plug-in-Hybride und andere Pseudofortschritte sollten sie uns weiterhin schmackhaft machen. Der Entfall staatlicher Förderung dieser Kolosse, so mit einem Stecker versehen, bisher unter dem irreführenden Titel der Verkehrswende, wird seinen Beitrag zur Überwindung leisten. Das Geld werden die Staaten auf viele Jahre anderswo benötigen.

Den Sauriern nachweinen? Was aber werden wir fahren, wovon träumen? Absehbar wird unser existierender Fuhrpark eine ganze Weile länger durchhalten, auch darin steckt eine gewisse Nachhaltigkeit. Ob wir den Sauriern nachweinen, sie dereinst als Klassiker verehren? Nicht ausgeschlossen. Doch nach dem Krieg hatte ein gewisser Ferry Porsche eine andere Idee: Sportwagen, leichtgewichtig und knapp tailliert. Der Mann war seiner Zeit voraus.

Überdauert. Auch vernachlässigt wertvoll, weil selten: Plymouth Superbird.
Überdauert. Auch vernachlässigt wertvoll, weil selten: Plymouth Superbird.(c) Beigestellt

Future Classics

Nach hundert Jahren ist von einem Auto, das den Elementen ausgesetzt ist, absolut nichts mehr übrig. Blech, Eisen, Glas, Gummi: Alles verschwunden, als wäre es nie dagewesen. Autos, die die Zeit gut überstanden, waren meist schon in ihren Tagen von Relevanz. Nur so konnten sie Bedingungen erfahren, die ihr Überleben sicherten. In Sammlungen und Kollektionen, sei es von Privaten oder Museen. In aller Regel waren sie also vorher schon selten und teuer und technisch von Bedeutung, bevor sie eine zweite Karriere als Klassiker machten. Der sogenannte Brezelkäfer ist da keine Ausnahme. Zwar war er nicht teuer und wurde massenweise – wenn auch nicht nach heutigen Maßstäben – produziert, doch überlebten nur wenige: In den Jahren des Wirtschaftswunders war Aufheben unüblich. Heute gelten frühe Volkswagen als Artefakte der Autogeschichte und erzielen in Auktionen zuweilen sechsstellige Beträge. Standhaftes Kriterium eines steilen Wertzuwachses sind allerdings immer Käufer, die sie zu zahlen bereit sind. Und von diesen gibt es in Zeiten guter Konjunktur immer mehr als mit schlechter.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 27.03.2020)

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