Amanshausers Album

Reisekrise, Teil zwei

Intern. Auch der Autor dieser Zeilen reiste in den letzten Tagen intensiv und nachdenklich durch das hier abgebildete Zimmer in 1160 Wien.
Intern. Auch der Autor dieser Zeilen reiste in den letzten Tagen intensiv und nachdenklich durch das hier abgebildete Zimmer in 1160 Wien. (c) Martin Amanshauser
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Xavier de Maistre reiste vor 226 Jahren literarisch durch sein Zimmer.

Das Reisevergnügen hängt weniger von der Destination ab als von der Geisteshaltung. Die schönste Berglandschaft, die pulsierendste Metropole, der weißeste Strand wird all jene enttäuschen, die sich nicht darauf einlassen. Coronabedingt brachte der März 2020 für Profi- und Routinereisende diesbezügliche Erkenntnisse – sie mussten ihren Radius auf Wohnung und Umgebung beschränken. Für die einen ein haarsträubender Horrortrip, erwies sich der Menschenversuch für andere als aufschlussreiche Expedition durchs Privatleben, als Blick auf Gewohntes in neuem Licht.

Ahnherr dieser Kulturtechnik ist der Schriftsteller und Offizier Xavier de Maistre (1763–1852). Sein Ausgangspunkt war ein verbotenes Duell, das ihm in Turin als 27-Jährigem einen sechswöchigen Stubenarrest einbrachte. In der Zeit schrieb er „Voyage autour de ma chambre“ (1894), also die „Reise um mein Zimmer“. Selbiges „liegt auf dem 45. Breitengrad. Es ist von Ost nach West ausgerichtet und bildet ein Rechteck mit einem Umfang von 36 Schritt, wenn man ganz dicht an der Wand entlangstreift.“

Xavier de Maistre hat treue Gefährten, seinen Dienstboten Joannetti und seinen Streichelhund Rosine. Er legt also sein Reisegewand an, reist zunächst ohne Gepäck zum Sessel. „In Richtung Norden entdeckt man hinter dem Sessel das Bett. In diesem wundervollen Möbel
vergessen wir während der einen Hälfte unseres Lebens den Kummer der anderen. (. . .) Ein Bett sieht, wie wir geboren werden und sterben; es ist die Bühne, auf der das Menschengeschlecht Dramen, Possen und Tragödien aufführt. Es ist eine mit Blumen geschmückte Wiege; es ist der Thron der Liebe; es ist das Grab.“

Eindringlich empfiehlt er, Betten in den Farben Rosa und Weiß zu halten. Im Licht von Corona wundert einen nicht, wenn de Maistre konstatiert: „Was mich betrifft, so gestehe ich: Seit einiger Zeit flößen mir alle Gesellschaften mit vielen Personen Grauen ein.“ Nach 42 Tagen Abgeschiedenheit bilanziert der Schriftsteller: „Sie haben mir verboten, eine Stadt, einen Ort zu durchwandern; aber sie haben mir das ganze Universum gelassen.“

www.amanshauser.at

(Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 27.03.2020)

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