Die Ich-Pleite

Wie lang reicht eigentlich eine Rolle Klopapier?

(c) Carolina Frank
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Ich habe mich in ein nettes Tier verwandelt. Die Verwandlung dauerte drei Tage

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Da hab ich’s ja noch gut. Ich habe mich nämlich in ein nettes Tier verwandelt. Die Verwandlung dauerte drei Tage und ging so langsam vonstatten, dass es einer weniger selbstbeobachtenden Person vielleicht sogar entgangen wäre.

Am ersten Tag zeigte ich noch keinerlei Anzeichen. Wenn man von einer stillen Freude absieht, die mich überkam, als mir ein wohlmeinender Freund zwei Rollen Klopapier schenkte: „Für den Fall der Fälle!“ Erst da begann ich mich zu ­fragen: Wie lang reicht eigentlich eine Rolle Klopapier? Ich nehme an, es hängt vom individuellen Verdauungsvorgang ab. Allerdings könnte Angst den Stoffwechsel beschleunigen. Zum Beispiel die Angst, das Klopapier könnte vor dem Wochenende ausgehen. Also rollte ich meine Yogamappe aus und begann zu meditieren. Meine Großmutter hätte vielleicht gesagt: Meditiere in der Zeit, dann kannst du’s in der Not. Wenn nicht, bleibt dir nichts anderes übrig, als noch kurz vor Ladenschluss in eine Parfümerie­filiale zu schlüpfen.

Auf meine bange Frage: „Haben Sie noch Klopapier?“ entgegnete das entnervte Verkaufspersonal: „Klar! Und da vorn im Seifen­regal hängt die Blaue Mauritius!“ Entschuldigungen murmelnd schlich ich wieder hinaus. In der nächsten Parfümeriefiliale ging es mir nicht besser. Auf dem Heimweg begann es in meinen Eingeweiden zu rumoren. Im Kopf rationierte ich schon die Blätter pro Klogang. Die Erschöpfung trieb mich abends schon früh ins Bett. Am nächsten Tag fand ich mich in einen ungeheuren Hamster verwandelt. Das ist jetzt zwei Wochen her. Ich besitze noch 27 Rollen Klopapier. Mir kann nichts mehr passieren.

(Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 27.03.2020)

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