Wiener Gemeinderat

Politiker als Rednerpult-Putzer

Abstand halten war am Donnerstag das Motto auch im Wiener Gemeinderat.
Abstand halten war am Donnerstag das Motto auch im Wiener Gemeinderat.APA/THOMAS RIEDER
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In einer historischen Sitzung beschlossen nur 66 von 100 Abgeordneten (nicht nur) ein Corona-Hilfspaket. Besonders wichtig war: Abstand halten!

Wien. Die Gebärdendolmetscherin niest kräftig, greift reflexartig zum Taschentuch und schnäuzt sich kraftvoll hinein. Auf der Straße würde ein derartiger Vorfall aktuell bei einigen Menschen für eine kleine Panikreaktion sorgen. Doch im Sitzungssaal des Wiener Gemeinderats bleibt es an diesem Donnerstag ruhig – und sehr entspannt.
Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) steht neben Neos-Klubchef Christoph Wiederkehr beim Podium, beide fotografieren mit dem Handy in den Saal hinein. Denn es ist eine Gemeinderats- und Landtagssitzung, wie es sie noch nie in der Zweiten Republik gegeben hat.

Nur 66 der 100 Abgeordneten sind erschienen. Jene, die zur Risikogruppe gehören, blieben in Zeiten der Coronakrise aus Sicherheitsgründen zu Hause – das haben alle Parteien gemeinsam beschlossen. An der rot-grünen Mehrheit ändert das an diesem Tag aber nichts. Es fällt aber auf, dass Abgeordnete auf den Besucherrängen im hinteren Teil des Saales sitzen – damit der gesetzliche Mindestabstand eingehalten werden kann. „Danke, dass jene die dort sitzen müssen, das nicht als Rücksetzung empfinden“, kommentiert das Gemeinderatsvorsitzender Thomas Reindl launig.

„In der Coronakrise wurde ein Bereich stiefmütterlich behandelt“, eröffnet Wiederkehr als erster Redner die Sitzung: „Die Coronakrise darf nicht zu einer Bildungskrise werden.“ Nun gehe die Schere zwischen jenen Kindern, die von ihren Eltern unterstützt werden, und Kindern, die keine Unterstützung erhalten, noch massiver auseinander als bisher. „Denn es gibt nicht in jedem Haushalt einen Laptop und WLAN“, hält der Neos-Klubchef fest. Sozial schwache Familien könnten sich das oft nicht leisten, aber der Unterricht werde nun per Home-Learning durchgeführt.
Wiederkehrs Forderung: ein Hilfspaket in der Höhe von zehn Millionen Euro, damit „die Schüler, die bereits Nachteile haben“, nicht noch weiter abgehängt werden. Die Stadt solle diesen Kindern beispielsweise einen Laptop für das E-Learning finanzieren.

Der Neos-Klubchef beendet seine Rede, nimmt die kleine Flasche Desinfektionsmittel, die unscheinbar neben dem Rednerpult steht, sprüht alles ein und poliert mit einem Tuch nach. Es ist eine Szene, wie sie an diesem Tag Dutzende Male zu sehen ist.

„Von einem Tag auf den anderen mussten die Onlinesysteme funktionieren. Dafür funktionieren sie gut“, bilanziert die ÖVP-Abgeordnete Caroline Hungerländer, die nach Wiederkehr ans Rednerpult tritt. Das Augemerk müsse aber weniger auf die Digitalisierung selbst, denn auf Großbaustellen wie Integration und Spachvermittlung gelegt werden. Nachsatz: „Ich möchte mich auch bei den Lehrern bedanken für die großartige Arbeit in dieser Ausnahmesituation." SPÖ-Gemeinderat Heinz Vettermann erklärt trotzdem: „Wir werden die Digitalisierung vorantreiben“; und macht danach einen bühnenreifen Abgang, wird aber postwendend vom Vorsitzenden zurückgerufen. „Ich bitte Sie zu desinfizieren!“

Corona-Hilfspaket beschlossen

An diesem Tag wird auch das Wiener Corona-Hilfspaket einstimmig beschlossen, das Bürgermeister Michael Ludwig präsentiert. Es enthält Unterstützungsleistungen für die Risikogruppe (betagte Wiener) und für die Wiener Wirtschaft. Auch dem Bürgermeister bleibt nicht erspart, höchstpersönlich das Rednerpult zu desinfizieren.

Emotional wird es bei der Novelle zur Mindestsicherung. „Da sind Punkte, die sind verfassungswidrig“, empört sich ÖVP-Klubchefin Elisabeth Olischar über den rot-grünen Entwurf. Einige Vorgaben des Sozialhilfegrundsatzgesetzes des Bundes hätte Rot-Grün nicht übernommen – neben Verschärfungen einen Bonus für Alleinerzieherinnen. Für die SPÖ antwortet Gabriele Mörk: Es gebe Gespräche mit dem Sozialminister, Verfassungswidrigkeit sieht sie nicht. Und als sie das Rednerpult verlässt, ertönt hinter ihr eine laute Stimme: „Bitte desinfizieren.“

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