Nah am Wasser: Bei uns ein Schlachtschiff, in den USA bloß „Midsize“ – Mercedes GLE 350 d.
Fahrbericht

Mercedes GLE 350D: Oben im kleinen Palast

Große SUVs sind zahlenmäßig auf dem Rückzug, man nimmt sie bloß stärker wahr – zuweilen auch als Feindbild. Das Segment dominieren Luxus-Kokons wie der Mercedes GLE.

Der große SUV-Hype in unseren Breiten, allemal ein Aufreger-Thema – nach ökologischen wie gesellschaftskritischen Aspekten. Immerhin wird mittlerweile fast ein Drittel aller 2019 im Land zugelassenen Neufahrzeuge dem Segment zugerechnet. Von US-Verhältnissen sind wir dennoch weit, eigentlich fast unendlich weit entfernt. Denn was bei uns alles unter SUV läuft, sind in der Masse aufgebockte Klein- und Kompaktmodelle, die eher einen gewissen Look vermitteln – robust, abenteuerlich, whatever – und die nicht mehr als eine halbe Etage über konventionellen Autos rangieren.

Im Retourgang

Was aber die wirklich großen Trümmer angeht, jene, an deren auftrumpfender Straßenpräsenz sich zuweilen die Gemüter erhitzen, die sind tatsächlich im Retourgang unterwegs. Zwar feierten in Europa die großen SUVs vom Schlage eines BMW X5 (aktueller Anführer des Segments), Volvo XC 90 (Nummer zwei) oder der viel gescholtene Porsche Cayenne (Platz sechs) 2019 das zweitstärkste Jahr der vergangenen Dekade, mit 334.000 Zulassungen. Aber ihre goldenen Tage liegen lang zurück, nämlich in den Jahren 2006/2007, als sie noch über eine halbe Mio. Exemplare zählten. Ihr Anteil am Gesamtmarkt machte im Vorjahr 2,1 Prozent aus und ist weiterhin tendenziell rückläufig (absehbare Verwerfungen, die alle betreffen, noch ausgeklammert).

Und sowieso niedlich im Vergleich mit den USA, wo sie nur als „Midsize“ gelten und sich im Vorjahr 2,7 Mio. mal verkauften, Marktanteil: fast 16 Prozent. Die ganz großen Stückzahlen machen dann noch größere Trümmer, mächtige Pick-ups wie Ford F-150, Ram und Chevy Silverado. In Amerika sind SUVs normale Familienautos, bei uns durchwegs Luxus, den sich Unternehmer (oder Unternehmen ihren Geschäftsführern) gönnen, nachdem die klassische Luxuslimousine kaum noch Begehrlichkeiten entfacht. Und weil es da und dort schon auch gefällt, wer es sich leisten kann, über seinen Mitmenschen zu thronen.

Damit sind wir bei einem astreinen Vertreter der Gattung, dem Mercedes GLE, der in den USA gebaut wird und sich dort auch doppel so oft verkauft wie in Europa. Die neue, vierte Generation der Baureihe, die früher als M-Klasse firmierte, hat sicherheitshalber in allen Dimensionen zugelegt: Nun gute fünf Meter lang, mit fast drei Metern Radstand und imposant aufragend mit 1,77 Meter Höhe; parken zwei davon nebeneinander in der Tiefgarage, heißt es Bauch einziehen beim Aus- und Einsteigen. Der naheliegende Antrieb für ein solches Schlachtschiff ist wohl Diesel, immer noch, es ist damit schon schwer genug – die Plug-in-Hybrid-Variante haut ja nochmals 400 Kilogramm obendrauf (darf sich dennoch über null Prozent NoVA freuen, ökologisch wahnsinnig sinnvoll).

Clemens Fabry

Mercedes hat erst vor wenigen Jahren einen neuen Sechszylinder als Benziner und Diesel herausgebracht, diesmal in Reihenbauweise, wie sie BMW seit jeher pflegt. Das ist günstiger bei der Abgasreinigung und gefällt durch den Eindruck besonderer Geschmeidigkeit. Aus drei Litern Hubraum kommen standardmäßig 272 PS, eine stärkere Variante kommt auf 330 PS. Im Vordergrund steht aber das ansehnliche, früh erklommene Drehmoment-Plateau von 600 Newtonmetern, und so wird man das Auto sinnvollerweise auch bewegen: Unaufgeregt mit grundelnder Drehzahl und gelegentlichen Impulsen, einen kräftigen Satz vorwärts zu machen. Ein Segen die Winterbereifung, die auf exzessive Zollgrößen verzichtet und gnädiger dämpft als die eitlen Walzen.

Der Witz dieser Art von Auto ist der Kokon-Charakter, eine Art First- oder Business Class der Straße, in der man von Außengeräuschen, seien es fremde oder eigene, durch Rollen und Wind, nahezu gänzlich verschont bleibt.

Man genießt ausgiebig die Stille, bevor man zur hochkarätigen Burmester-Anlage greift oder sie im Dialog mit dem stets lauschenden Bordsystem („Hey, Mercedes!“) wachruft.

Clemens Fabry

Ungezählt müssen die Luxus-Features in diesem kleinen Palast bleiben, von ionisierter, bedufteter Raumluft über assistiertes Fahren bis zu Stimmungsbildern per Klimatisierung, Sitz, Licht und Klang, die sich konzertiert von „Frische“ bis „Freude“ abrufen lassen.

MERCEDES GLE 350D

Maße L/B/H 4924/1947/1772 mm. Radstand 2995 mm. Leergewicht 2235 kg (EU). Ladevolumen 630–2055 Liter.

Motor R6-Zylinder-Turbodiesel, 2925 ccm. Leistung max. 200 kW (272 PS) bei 3400–4600/min. Drehmoment max. 600 Nm bei 1200–3200/min.

0–100 km/h in 6,9 sec. Vmax 230 km/h.

Testverbrauch 9,5 l/100 km.

Allradantrieb permanent, Neungang-Automatikgetriebe (Wandler).

Preis ab 79.430 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2020)

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