Gastkommentar

Lasst uns nicht die kleinen Geschäfte vergessen

Bäckerei
BäckereiDie Presse (Clemens Fabry)
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Was wäre, wenn alle Supermärkte schließen müssten und nur noch die kleinen Nahversorger offen haben dürften? Ich bin sicher, die Stadt wäre trotzdem versorgt, meint der Inhaber eines Wiener Schokoladengeschäfts.

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Heute war Hans Reh bei mir. Zum ersten Mal. Ich war noch nie bei Hans Reh. Bis heute. Doch heute zum ersten Mal. Hans Reh ist ein
Fischkonservenhändler. Ein kleines Feinkostgeschäft in der
Nachbarschaft, an dem ich schon so oft vorbeigegangen bin. Schon oft mit dem Vorsatz, endlich mal reinzugehen. Bis heute blieb es beim Vorsatz.

Doch heute war alles anders. Heute war Hans Reh bei mir und deckte sich mit Schokoladen ein. Und heute war ich bei Hans Reh und deckte mich mit Sardinen, Thunfisch und Makrelen ein. Aus der Dose. Aus der Nachbarschaft. Die letzten Tage kaufte ich mein Frühstückskipferl auch nicht beim großen, wenn auch sehr guten, Filialbäcker, sondern bei Gragger ums Eck. Wollte ich auch schon immer und viel öfter machen, aber der gelbe U-Bahn-Bäcker lag halt dann doch direkt in der täglichen
Komfortzonen-Einflugschneise.

Thomas Kovazh.
Thomas Kovazh. Beigestellt



Seit einer Woche fahre ich aber die paar Stationen zwischen Home und Office mit dem Rad und da liegt plötzlich auch der türkische Minisupermarkt am Weg. Die Kartoffeln kommen aus Niederösterreich, der Knoblauch aus dem Burgenland. Das Gute liegt so nah. Und frisch ist das Ganze!

Bei all meinen Besorgungen der vergangenen Tage war ich übrigens immer allein mit dem jeweiligen Inhaber im Geschäft. Mit Abstand (im wahrsten Sinne des Wortes) die beste Entscheidung der vergangenen Woche. Im Supermarkt wäre ich schon angeniest und -pöbelt worden. Das bringt mich zu einem kleinen Gedankenexperimemt: Was wäre, wenn in der nächsten Woche alle Supermärkte schließen müssten und nur noch die kleinen Nahversorger offen haben dürften? Ich bin sicher, die Stadt wäre trotzdem versorgt.

Nichts gegen Supermärkte, aber lasst uns auch die Kleinen nicht vergessen. Gerade jetzt. Hans Reh, Hr. Schokov, die Ringl-Schwestern, Ergün vom Minisupermarkt und das Biogeschäft am Eck würde das sehr freuen.

Ja, es mögen Bobo-Probleme sein, aber es gab schon einmal eine Zeit, in der man mehr Zeit beim Greißler verbrachte als vor dem  Backwaren-Plexiglas-Regal. Und man verließ das Geschäft mit einem
echten statt mit einem virtuellen Jö.

Irgendwann waren dann die meisten weg, die Greißler, die Bäcker, der Kaffeesieder, die steirische Vinothek, in die man immer schon hinwollte, aber dann doch den bequemeren Weg wählte und sich den Doppler mit 25%-Rabatt-Sticker ins Einkaufwagerl stellte.

Vernunft, Seife und Humor braucht der Mensch 

Die guten alten Zeiten waren wohl nur in der Vorstellung besser, aber die Zukunft könnte eine bessere Vergangenheit werden, wo
Grätzl-G'schäfte wieder aufblühen. Wenn wir im Großen zu den Kleinen gehen.

#supportyourlocal wäre wohl auch die effektivste Förderung für alle EPUs und Kleinunternehmer. Und sie kostet den Staat nicht einmal etwas, sondern nur jeden Einzelnen von uns ein paar (Um)Wege, die zu neuen Wegen führen können. Die Krise kann also auch eine Chance für kleine, inhabergeführte Lebensmittelgeschäfte sein. Wir haben es in der Hand.

In diesem Sinne: Vernunft, Zuversicht, Kakaotrüffeln, Seife und Humor braucht der Mensch. Gemeinsam schaffen wir das, nur sollte es uns nicht zu sehr zu schaffen machen.

Der Autor

Thomas Kovazh (*1979 in Wien). Inhaber des Schokoladegeschäfts Schokov am Spittelberg. Kovazh hat eine Frau, zwei Kinder und derzeit jede Menge (und wahrscheinlich viel zu viele) Osterhasen.

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