Gastkommentar

Was macht der Alte ohne Mundschutz in der Öffentlichkeit?

Mann auf Treppe
Mann auf TreppeAPA/HELMUT FOHRINGER
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Und über uns braut sich eine Nebenwirkung des Corona-Virus auf, von der wir noch nicht wissen, ob sie nicht zur Hauptwirkung werden wird. Von neuen Ausgrenzungen und Gewohnheiten schreibt Hans Bachmann.

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Zum zweiten Mal in meinem Leben blicken mich viele Menschen abwehrend an. Beim ersten Mal war ich froh darüber und stolz dem sogenannten Establishment Ärger verursachen zu können: mit den langen Haaren, mit dem frechen, ja auch etwas rücksichtslosen Verhalten der Postpubertät und dem unbefangenen, kecken und aufmüpfigen Revoltengehabe der Jugend in den späten 1960er Jahren.

Heute, 50 Jahre später, blicken mich Menschen im öffentlichen Raum zwar nicht mit derselben Aggression und Verachtung an, wie damals, aber die Abwehr ist massiv spürbar. Was macht der Alte ohne Mundschutz in der Öffentlichkeit? Der soll „daham“ bleiben. Große Bogen um Menschen machen, gehört wieder zum guten Ton. Und über uns braut sich eine Nebenwirkung des Corona-Virus auf, von der wir noch nicht wissen, ob sie nicht zur Hauptwirkung werden wird. Wenn diese Nebenwirkungen, nach dem Abklingen des Virushorrors sich durchschlagend bemerkbar machen werden, ist es zu spät. Für jede Einzelne oder jeden Einzelnen von uns. Wir können uns gerne selber glauben machen, dass es für uns gute Bürger eh wurscht ist. Mitnichten. Der Generalverdacht, dass wir alle Gauner sind, kommt heute ja jedem kleinen Gewerbetreibenden auf der Bank entgegen. Weil wir alle Gauner, Virenüberträger, Staatsschwächer, Abweichler, Oppositionelle, Unberechenbare sind, müssen wir für die Steuerungserfordernisse des Staates berechenbar werden.

Jetzt in Zeiten des Corona-Virus wird ganz unbefangen über Big Data gesprochen – ja in diesem Falle bieten Überwachung und Datenverfolgung durchaus auch Schutz an – aber wenn der Grund dafür verschwunden sein wird, wird es Begründungen für ein Aufrechterhalten der Surveillance-Möglichkeiten geben. Europa als vermeintlicher Schutzschirm von Freiheiten ist gänzlich aus unseren Köpfen verschwunden. Aus unseren Herzen schon längst. Die Menschenrechtskonvention wird ebenso zu Grabe getragen werden, wie es die Flüchtlingskonvention de facto schon wurde. Daher wird jeder Staat das Maximum an möglichen Kontrollen und Überwachung herausholen. Die Folge: Wir werden folgen.

Alle beobachtbar und ausrechenbar

Wenn wir aber alle beobachtbar und ausrechen­bar sind, dann besteht keine Veran­lassung mehr ein Individuum sein zu wollen. Was man nicht mehr sein kann, braucht man auch nicht durchzusetzen – es gibt ja bald wieder Ersatz: Fußballfan zu sein, mehr oder weniger vegan oder Fleisch zu essen, sich tätowieren zu lassen oder auch nicht, und Seilhüpfen oder Marathon zum Fitnesssport zu küren. Wir dürfen weiterhin Wein trinken und uns anspeiben wenn wir Zuviel erwischt haben. Wir werden in die Discos gehen dürfen, Rockkonzerte werden als Beruhigungsmittel der Massen fungieren und man wird der Jugend einige Möglichkeiten anbieten, Trieb- und Aggressionssublimation zu betreiben. Für Verhaltens- und Denkoriginalität wird es immer enger werden. Schon die Reisefreiheit steht auf dem Spiel. Die politische Wahlfreiheit steht auf dem Spiel. Die Verfügungsgewalt über das eigene Geld ist schon längst passe. Die Freiheit über den eigenen Körper zu entscheiden wird Frauen gerade wieder weggenommen und die Freiheit an nichts zu glauben, wird uns durch eine Sturzflut an Glaubensimpulsen und Fake News ausgetrieben. Auch die Planbarkeit und Unversehrtheit der Existenz geht schon längst den Bach hinunter – nicht erst seit Corona.

Wenn dann alles vorbei sein wird – wenn überhaupt, was dann? Werden wir uns dann wiederfinden, wohl unter Linden, zur Abendzeit? Im neuen Biedermeier? Werden wir singen – oder vielleicht grölen „Kein schöner Land in dieser Zeit, als das uns’re weit und breit“ oder „I am from Austria“ weil die „Dummheit die zum Himmel schreit“ das sind ja nur die anderen. Deshalb lieben wir das Lied. Und dann endlich daham, statt Islam. Wir sind in einer völlig neuen Situation. Noch dürfen wir spazieren gehen und einkaufen.

Hans Bachmann.
Hans Bachmann. Bildermacher Taborstraße Wien

Wenn demnächst eine Ausgangssperre verhängt wird – und ich hege keinen Zweifel, dass es da Daumenschrauben und Bewegungsmonitoring geben wird, ist es damit vorbei. Wie leicht Kehrtwendungen und Verschärfungen passieren, zeigt die von Innenminister Nehammer vor nicht allzu langer Zeit als Absurdität zurückgewiesene Schließung der Geschäfte und Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Scheinbar logisch unterfüttert mit den entsprechenden Argumenten "Wie soll das gehen, eine Nation lässt sich nicht einsperren, da würden die Leute rebellieren und einen Lagerkoller bekommen“. Ja, die Zeiten ändern sich und das gestern noch so Gewisse ist heute schon längst überholt. Aber wir müssen handeln. Wir dürfen uns nicht in eine Lähmung begeben. Mit Hilfen und Selbsthilfen. Mit einem Wenn – dann…

Wenn du Zu Hause bleibst... dann...

Wenn wir gezwungen sind, unsere Gewohnheiten zu ändern, gebietet es sich aus neurowissenschaftlicher Sicht eine kausal verknüpfte und vor allem ganz konkrete Alternative anzubieten. In der Praxis ist das eine Kausalitätskette. Wenn….dann….

Wenn Du zu Hause bleibst, dann gehe jeden Tag 10.000 Schritte. Wer den Körper bewegt, bewegt auch den Geist und hindert ihn daran, sich trüben Gedanken hinzugeben.

Wenn Du Angst um Deine finanzielle Zukunft hast, dann erkundige Dich bei Deiner Bank nach den angebotenen Hilfestellungen – und lass Dir von Deinem Betreuer sagen, wie man sie nützt.

Wenn Du eine kleine Firma hast, die jetzt stillsteht, dann lade Dir alle Informationen der WKO herunter, archiviere sie und setze Dich die nächsten Tage jeweils 1 Stunde damit auseinander und ordne die zielführendsten Maßnahmen logisch an.

Wenn Du antriebslos bist und immer schwerer aufstehst in der Früh, dann lass Dich von Deinem Wecker und 5 Minuten später von einem Freund, einer Freundin wecken – oder rufe Du jemanden an. Das weckt nicht nur die Lebensgeister, es verbindet Dich auch mit der einem oder mehreren Menschen in der Welt.

Wenn Du grübelst und Sorgen hast und nicht einschlafen kannst, dann schreib Dir die nächsten fünf Schritte auf, die Du unternehmen wirst! Lerne sie auswendig und wiederhole sie in Gedanken – Lösungen und Leistungen sind beruhigender als Befürchtungen.

Wenn Du glaubst, es fällt Dir nichts mehr ein, dann schreibe 6000 Zeichen für „Die Presse" und biete das als Gastkommentar. Es hilft, den Geist, der willig ist, anzukurbeln und sich auf etwas zu konzentrieren.

Wenn dir irgendetwas in Deiner neuen Wirklichkeit und im Zwang was zu tun peinlich vorkommt, dann überlege in welchen Zeiten wir leben und dass Gefühle der Peinlichkeit oder Zurückhaltung in Anstrengungen keine tauglichen Hilfsmittel zur Bewältigung der großen und der persönlichen Krisen sind.

Wenn alles vorbei sein wird, dann belohne Dich mit den geschaffenen neuen Gewohnheiten, und speichere die neuen Tatsachen, die ein „Weniger ist Mehr“ ein Aufräumen der Seele, der Wohnung und des Lebens beinhalten.

Wenn die Politik einen Summenstrich zieht, dann melde Dich zu Wort und sag ihr klipp und klar, was du in Zukunft willst.

Wenn Du nicht mit entscheidest wie das Antlitz zumindest unseres winzigen Staates aussehen soll, dann wirst Du es Dir selber zuzuschreiben haben, dass Du in einer Demokratie schlafen gegangen und in einer Diktatur aufgewacht bist.

Der Autor

Dr. Hans Bachmann (* 1948), studierter Volkswirt und Politikwissenschaftler. In der Studienzeit ORF-Mitarbeiter, Werbetexter. Unternehmer, Coach und Berater mit Schwerpunkt Sicherheit- und Datenschutz. Dozent an der FH Joanneum, FH Wien, Donau-Uni Krems. Themen: Kommunikation, Leadership, interpersonelle Kompetenzen und Verhaltensökonomie.

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