Gastbeitrag

Fünf Thesen, was sich nach Corona ändert

People wearing protective face masks take their lunch breaks at the financial Central district, following the coronavirus disease (COVID-19) outbreak, in Hong Kong
People wearing protective face masks take their lunch breaks at the financial Central district, following the coronavirus disease (COVID-19) outbreak, in Hong KongREUTERS
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Dass diese weltumspannende Krise massive Auswirkungen haben wird, ist unbestritten. Hier fünf Thesen dazu, in welche Richtung diese gehen könnten.

Die weltumspannende Krise, in der wir uns derzeit befinden, wird wohl die größte Disruption seit dem 2. Weltkrieg sein. Dafür sprechen vor allem zwei Faktoren:

In der gesamten Nachkriegszeit hatte noch nie ein Ereignis so unmittelbaren Einfluss auf die gesamte Weltbevölkerung.
Die Dimensionen der Krise übertreffen alles bisher Dagewesene: Die Zahl der betroffenen Länder, die Zahl der in Mitleidenschaft gezogenen Unternehmen, der Umfang der Hilfspakete, die Zahl neuer Arbeitsloser in kürzester Zeit, das Ausmaß der Berichterstattung, die Kurzfristigkeit des Einschlags usw.

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Dass diese Disruption massive Auswirkungen haben wird, ist unbestritten. Hier fünf Thesen dazu, in welche Richtung diese gehen könnten:

These 1: Politisches Leadership wird noch wichtiger.

Schon seit rund 20 Jahren verschiebt sich das Gewicht der Schlüsselfaktoren im politischen Wettbewerb: Leadership nimmt stetig an Bedeutung zu, zulasten weltanschaulicher Modelle, die immer mehr in den Hintergrund rücken. Menschen wählen also immer mehr nach dem Kriterium, wer am ehesten imstande ist, zu führen und Probleme zu lösen. Populisten, die in den letzten Jahren so viel Aufwind hatten, werden jetzt umso mehr daran gemessen, ob sie auch Leadership haben – sonst werden sie gnadenlos abgewählt. Politische Führungspersonen müssen mehr denn je Klartext reden, Sicherheit geben und vor allem – handeln.

These 2: Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten kommt.

Die EU als europäische Gemeinschaft ist in der Coronakrise neuerlich gescheitert. Nicht nur, dass die 27 Mitgliedsstaaten kaum gemeinsame oder zumindest abgestimmte Maßnahmen setzen konnten, es zeigten sich sogar krasse Beispiele nationaler Egoismen wie Exportsperren und irrationale Grenzschließungen. Dass die EU weder in der Flüchtlingsfrage noch in der Bewältigung der Coronakrise Einheit schafft, werden proeuropäisch ausgerichtete Mitgliedsländer nicht mehr akzeptieren. Zwei entgegengesetzte Positionen werden sich noch verstärken: einerseits für mehr Gemeinsamkeit und Integration, andererseits für Grenzen, Abschottung und nationale Lösungen. Der Druck auf klare Entscheidungen wird steigen und zur großen Nagelprobe für die europäische Führung Von der Leyen/Michel/Sassoli werden. Das wird endgültig zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führen: eine progressive Gruppe von Mitgliedsstaaten, die vorangeht und eine Kern-EU bilden wird. Und eine zweite Gruppe, die nur an einer Wirtschaftsgemeinschaft partizipieren will.

These 3: Die Digitalisierung bekommt einen massiven Schub.

Die technischen Möglichkeiten für das Arbeiten im Home Office werden nun von allen Unternehmen, aber auch öffentlichen Institutionen geschaffen werden. Hinzu kommt ein massiver Ausbau des E-Learnings, der Digitalisierung von Schul- und Universitätsbetrieb. Ein „Geht nicht“ wird es nach der Krise in vielen Bereichen nicht mehr geben: In der Verwaltung (E-Government) und in unserem täglichen Leben werden sich digitale Anwendungen etablieren, die bislang für schwierig oder unmöglich gehalten wurden, wie etwa das elektronische Rezept, Video-Psychotherapie oder Anträge bei Behörden. Aber auch die Internetgiganten werden nicht mehr glaubwürdig sagen können, dass sie keinen Einfluss auf Fake News haben. Die Renaissance persönlichen Zusammenhalts, die sich in der Krise im gemeinsamen Singen, Klatschen oder Musizieren manifestiert, wird in eine gesellschaftliche Gegenbewegung zur Digitalisierung münden, aufhalten wird sie sie aber nicht.

These 4: Sicherheit siegt über Freiheit.

Seit vielen Jahren bereits führen wir eine Debatte darüber, wieviel Sicherheit es braucht und auf wieviel Freiheit wir im Gegenzug bereit sind zu verzichten. Auch hier sind Flüchtlingsthema und Coronavirus die zwei Anlässe, die für den Ausschlag in diesem Match sorgen: zugunsten der Sicherheit. Der Mainstream wird in Kauf nehmen, in Grund- und Freiheitsrechten eingeschränkt zu werden, um Bedrohungen durch Viren oder – wie es Rechtspopulisten gerne formulieren – die „Invasion von Migranten“ abzuwehren. Grenzkontrollen, Tracking von Bewegungen im freien Raum, Auswertung von Daten und ähnliche Maßnahmen werden höhere Akzeptanz erhalten. Das wird gleichzeitig die Polarisierung in der Gesellschaft antreiben, denn gegen diese Entwicklung wird eine ebenso deutlich erstarkende Minderheit aufbegehren und für Grund- und Freiheitsrechte kämpfen. Sie wird damit in der Minderheit bleiben, aber immerhin manche Entwicklungen abschwächen.

These 5: Die Schnittstelle Politik und Wirtschaft wird „the place to be“.

Nach den tiefen Eingriffen der Politik in das Wirtschaftsleben durch die Coronakrise folgt eine Neuaufstellung zwischen den Stakeholdern. In kürzester Zeit wurden gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen, die nicht nur unser Zusammenleben, sondern auch den Handlungsspielraum der Unternehmen künftig prägen werden. Manche dieser vermeintlich temporären Rahmenbedingungen werden zum Dauerzustand und ins Regelgesetzeswerk übergeführt werden. Dazu wird die Gemeinwohlorientierung wesentlich wichtiger, Einzelinteressen noch mehr in den Hintergrund rücken. Unternehmen und Politik werden in der Zeit nach Corona miteinander den Wiederaufbau stemmen (müssen) – Hand in Hand, auf Augenhöhe, in wechselseitigem Respekt und nachhaltig.

Insgesamt werden wir also nach Corona in keiner gänzlich anderen Welt leben, aber in einer Welt, in der die Dynamik mancher Entwicklungen dramatisch gestiegen ist. Wer nicht dabei ist und Schritt hält, wird das Nachsehen haben.

Der Autor: Feri Thierry ist Politikberater und als Managing Partner von 365 Sherpas Consulting tätig.
Der Autor: Feri Thierry ist Politikberater und als Managing Partner von 365 Sherpas Consulting tätig.Markus Tordik

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