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Serie „Unorthodox“: Eine Jüdin kämpft sich frei

Unorthodox
UnorthodoxAnika Molnar/Netflix
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Die Serie „Unorthodox“ erzählt das (zumindest halb wahre) Märchen von einer jungen Frau, die aus einer radikalen chassidischen Community floh und ihr Glück fand.

Eine junge Frau, nein: fast ein Mädchen. Mit der Ehestifterin besucht sie einen koscheren Supermarkt im jüdisch-orthodoxen Teil von Brooklyn, sie trägt ihren besten Mantel, der ihr bis zu den Waden reicht, so ist es die Norm, die Haare hat sie geflochten, noch, denn unmittelbar nach der Hochzeit wird man sie ihr abrasieren und sie wird nur mehr mit Perücke das Haus verlassen dürfen. Esty steht hier, zwischen den Regalen, weil die Mutter eines möglichen Bewerbers sie heimlich begutachten will. „Tu so, als würdest du nichts bemerken, als würdest du etwas suchen und lächle dabei“, sagt die Ehestifterin. Und Esty wird sich wohlverhalten. Aber nur fast. Sie setzt einen kleinen, kaum wahrnehmbaren Akt der Rebellion: Sie wirft der Schwiegermutter in spe einen kurzen Blick zu.

Es ist eine Szene, die das beste zweier künstlerischer Welten vereint: Die authentische Kraft des autobiografischen Romans von Deborah Feldman, der 2012 zum Bestseller wurde. Und die Zartheit der Regisseurin Maria Schrader, wie wir sie aus „Vor der Morgenröte“ kennen, diesem seltsam schwebenden, todtraurigen Film über Stefan Zweig im Exil. Es wird nicht die letzte berückend-verstörende Episode dieser vierteiligen Miniserie sein, für die Anna Winger und Alexa Karolinski das Drehbuch geschrieben haben: Wir werden Zeugen einer ultraorthodoxen jüdischen Hochzeit werden, mit einem nervös vor und zurück wippenden Bräutigam und einer grotesk auf Kindfrau geschminkten Braut. Wir werden dem halb vertrauten Sprachgemisch aus Jiddisch und Englisch lauschen, man hat sich dazu entschieden, nicht zu synchronisieren, sondern mit Untertiteln zu arbeiten, das war klug. Und wir werden uns an der israelischen Schauspielerin Shira Haas kaum sattsehen können, an dieser so fragilen wie starken Frau mit den rappelkurzen Haaren und den jungenhaften Bewegungen.

Klassischer Serienplot

Ganz durchhalten wird die Netflix-Serie diesen Ton allerdings nicht: Zum einen, weil sich das Team entschieden hat, vom Roman abzuweichen und der Geschichte von Deborah Feldmans Befreiung aus der Enge und von den Dogmen einer radikalen chassidischen Gemeinschaft einen klassischen Serienplot zu verpassen. Esty flieht quasi bei Nacht und Nebel nach Berlin, mit nur ein paar Erinnerungsstücken im Gepäck und einem Kind unterm Herzen. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd, ein so böser wie bigotter Cousin heftet sich auf Estys Spuren, er erpresst, droht, bricht gar in eine Wohnung ein, und als er sie schließlich aufgestöbert hat, tut er alles, um die Abtrünnige wieder in den Schoß der Familie zurückzuholen, sogar eine Pistole trägt er mit sich herum.

Zum anderen wird die deutsche Hauptstadt in dieser Serie allzu idyllisch porträtiert. Deborah Feldman hat immer wieder betont, dass sie die erste Zeit in Berlin wie einen Traum erlebt hat, das soll die Produktion widerspiegeln. Doch eine Serie ist kein Roman, hier gibt es keine Ich-Erzählerin, deren Perspektive wir einnehmen, sondern eine Kamera: Wir wollen den Bildern glauben – und können es nicht, diese munteren Burschen und bildhübschen Frauen, die jubelnd in den Wannsee springen und in fröhlichen WG-Partys miteinander kochen, sind zu gut, um wahr zu sein. Und dann bekommt die junge Esty auch noch die Chance, am Konservatorium vorzusingen, und siehe da, sie erhält ein Stipendium, obwohl sie nie Gesangsstunden hatte, so rührend ist ihr Vortrag, dass sogar der heimlich lauschende Ehemann ihr verzeiht.

Zugegeben, diese Beschreibung klingt etwas boshafter, aber daraus spricht wohl auch die Enttäuschung: Diese Serie hätte, mit ein bisschen mehr Mut aller Beteiligten, richtig groß werden können.

„Unorthodox“. Miniserie nach dem gleichnamigen Bestseller von Deborah Feldman. Regie: Maria Schrader. Vier Folgen à 50 Minuten, jetzt auf Netflix.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2020)

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