US-Sport

„America's Pastime“: Das krisenfeste Nationalheiligtum wankt

Ob der Coronakrise herrscht in der Baseball-Welt seltene Eintracht. Die Pandemie könnte Amerikas liebsten Zeitvertreib zu Fall bringen.

Los Angeles. Die Geschichte des Baseball-Sports in den USA ist auch eine Geschichte der Arbeitskämpfe. Nicht selten wird gestreikt, werden Saisonen unterbrochen, auch die World Series, der finale Liga-Showdown, fiel den Streitereien zwischen Spielern und Teambesitzern schon zum Opfer. Rücksicht auf die Fans, die das Spektakel finanzieren, gab es nie.

Dieser Tage aber herrscht seltene Einigkeit in der Baseball-Welt. So viele Spiele wie möglich, je früher desto besser – so lautet das Credo. Baseball gespielt wurde in den USA schließlich immer. Auch während der Weltkriege, auch wenige Tage nach Nine-Eleven. Erst das Coronavirus gefährdet nun eine Saison. Mit der Major League Baseball (MLB) würde nicht nur eine weitere Sportliga stillstehen, sondern „America's Pastime“, Amerikas nationaler Zeitvertreib.

162 Spiele hat jedes Team pro Saison allein im Grunddurchgang zu absolvieren. Baseball ist von März bis Oktober in den USA allgegenwärtig, es ist tief in der Kultur verankert und bestimmt zuweilen den Alltag. Homeruns sind eines der wenigen Themen, über die sich die polarisierte Gesellschaft noch austauschen kann, ohne in politisches Fahrwasser zu geraten.

Am Donnerstag hätte die 119. Saison der MLB anheben sollen, am traditionellen Opening Day wäre halb Amerika in Stadien und Bars gepilgert. Der Ligastart ist bis Mitte Mai verschoben, doch dabei wird es nicht bleiben. Um die Saison zu retten, wurde ein hochgelobtes 17-seitiges Vertragswerk zwischen Spielern und Klubs abgesegnet. Es garantiert den Profis weiterhin Millionengehälter, dafür erklären sie sich bereit, die Saison zu Ende zu spielen, egal, wie lang sie dauert, auch an neutralen Orten und vor leeren Rängen. Sie würden Doubleheader, also zwei Spiele an einem Tag, in Kauf nehmen und akzeptieren, dass die Anzahl der Innings (eine Baseball-Partie kann gern drei, vier Stunden dauern) von neun auf sieben heruntergesetzt wird – eigentlich ein Sakrileg. Doch was die US-Sportwelt neben einem Totalausfall am meisten fürchtet, ist eine World Series im Winter, wenn die ersten Schneestürme aufziehen.

Einstweilen werden überhaupt keine Schläger geschwungen. Topverdiener Mike Trout (Los Angeles Angels; Jahresgage: 35 Mio. Dollar) sitzt in seiner Villa im kalifornischen Newport Beach. „Ich mache das Gleiche wie ihr“, erklärte der 28-Jährige, „ich frage mich, wann die Saison startet.“ Das Unternehmen Fanatics, das sonst Baseball-Uniformen schneidert, stellt nun Schutzmasken her. Und MLB-Boss Rob Manfred erinnerte an die Rolle, die sein Sport in dieser schwierigen Zeit spielen soll: „Wir werden ein Teil der Genesung sein.“ (joe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2020)

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