Gastkommentar

Testen, Tracken, Transparenz: Szenarien aus dem Shutdown

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GERMANY-HEALTH-VIRUSAPA/AFP/THOMAS KIENZLE
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Der Weg aus der größten Stilllegung in der Geschichte der Neuzeit führt über Testen, Tracken, Transparenz - und Tanzen, schreibt Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Vor sieben Jahren spielte das Robert Koch-Institut (RKI) im Auftrag der deutschen Bundesregierung das Szenario einer globalen Pandemie durch. Es liest sich wie eine Prophezeiung: „Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus… Obwohl die laut Infektionsschutzgesetz und Pandemieplänen vorgesehenen Maßnahmen durch die Behörden und das Gesundheitssystem schnell und effektiv umgesetzt werden, kann die rasche Verbreitung des Virus aufgrund des kurzen Intervalls zwischen zwei Infektionen nicht effektiv aufgehalten werden.“ Die Rede war schon damals von einem „Coronavirus“. Die Eintrittswahrscheinlichkeit bezeichnete das RKI damals als „bedingt wahrscheinlich“. Das heißt: statistisch kommen solche Ereignisse in einem Zeitraum von 100 bis 1000 Jahren einmal vor.

Medizinischer und ökonomischer Stresstest

Diese Ereigniswahrscheinlichkeit ist im Jahr 2020 zur globalen und grausamen Realität geworden. Die Konsequenz ist die größte Stilllegung in der Geschichte der Neuzeit, der Shutdown. Shutdown bedeutet Stillstand. Wirtschaftlich und gesellschaftlich. Schulen werden geschlossen, das öffentliche und soziale Leben wird weitgehend eingestellt, Insolvenzen und Arbeitslosenzahlen steigen. Millionen Menschen verlieren ihre Existenz, es wird viele Milliarden kosten, sie aufzufangen und die Wirtschaft wieder hochzufahren. Mehr als zwei Wochen steht Österreich bereits still. Es ist die Stille vor dem Sturm. Die Infektionszahlen werden steigen und die Intensivstationen bis zur, vielleicht sogar über die Belastungsgrenze hinaus, belegt werden. Österreich steht vor einem medizinischen und ökonomischen Stresstest. Monatelange Ausgangs- und Freiheitsbeschränkungen retten Leben und vernichten gleichzeitig Existenzen. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma „medizinische oder wirtschaftliche Katastrophe“? Lassen sich Zehntausende Todesfälle vermeiden, ohne die Wirtschaft auf Monate lang lahmzulegen?

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Das deutsche Bundesinnenministerium spielt dazu in einem noch nicht veröffentlichten Strategiepapier „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“ verschiedene Szenarien durch. Als Vorbild empfehlen die beteiligten Wissenschaftler Südkorea und seine Politik der „schnellen Kontrolle“. Die asiatische Demokratie hat es bislang geschafft, die Ausbreitung des Virus erheblich zu verlangsamen. Kurz gesagt kommt es auf drei „T“ an: Testen, Tracken und Transparenz. Konkret geht es um einen Ausbau der Tests über schnelle Massentests etwa in Drive-throughs oder Telefon-Teststellen. Um infizierte Risikogruppen zu isolieren, kommt zweitens Tracking hinzu: die Kontrolle von Bewegungsprofilen durch Handydaten. Südkorea zeigt, dass sich nur so Infektionsketten wirksam unterbrechen lassen.

Jeder Bürger soll eine „Corona-App“ bekommen, mit deren Hilfe sich feststellen lässt, ob an dem Aufenthaltsort bereits ein Infizierter war. Drittens empfehlen die Experten eine ehrliche und offene Kommunikation. Ohne Transparenz und Aufklärung würden die Bürger den Ernst der Lage unterschätzen. Den Bürgern muss offen gesagt werden, wie hoch die zu erwartenden Kosten sein werden und welche anderen Lösungen möglich wären. Das Verschweigen der massiven Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft sei keine Option. Ein zu frühes Hochfahren des öffentlichen Lebens würde bedeuten, dass bereits im Mai Tausende von Infizierten von den Krankenhäusern abgewiesen würden. Das wäre der Corona-Gau.

„Nach dem Hammer kommt der Tanz“

Nur massenhafte und schnelle Tests, das Tracking von Handydaten und eine transparente Aufklärungskampagne sind der Weg aus der Krise. Südkorea hat genau das geschafft. Die Zahl der Neuinfektionen geht dort wieder zurück. Die Behörden spielten immer wieder das Szenario einer neuen Coronavirus-Pandemie durch. Das positive Szenario für Österreich bringen die Wissenschaftler bildhaft auf den Punkt: „Nach dem Hammer kommt der Tanz“. In dem gleichnamigen populärwissenschaftlichen Titel beschreibt der amerikanische Informatiker und Unternehmer Tomas Pueyo, wie auf die „Hammer“-Phase, die Stilllegung des öffentlichen Lebens, der „Tanz“, das langsame Hochfahren wiederbeginnen könne. Wenn die Fallzahlen nach Ostern deutlich sinken, könnte diese Phase beginnen: Schulen und Kitas könnten wieder öffnen, die Infektion wäre durch intensives Testen und das Nachverfolgen von Kontakten und Isolation unter Kontrolle. Der wirtschaftliche Schaden wäre nach diesem Szenario einigermaßen überschaubar. Auch weil wahrscheinlich Ende des Jahres ein Impfstoff gegen Covid-19 vorliegt.

Wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, werden wir feststellen, dass wir nicht nur überlebt haben, sondern in einer besseren Gesellschaft leben. Das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hat unser Leben widerstandsfähiger gemacht. Wir leben dann in einer Welt, die resilienter und robuster sein wird als die heutige. Die erzwungene Lage durch Corona zeigt uns, was auf einmal möglich ist, wenn ein Land zusammensteht. Auch Österreich kann aus dieser Krise gestärkt herauskommen.

Daniel Dettling
Daniel Dettling Edgar Rodtmann


Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und Politikwissenschaftler und leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts (www.zukunftsinstitut.de).

Das Zukunftsinstitut hat in einem Whitepaper vier Szenarien nach Corona veröffentlicht: https://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/Whitepaper-Der-Corona-Effekt-Zukunftsinstitut.pdf

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