Coronakrise

"Der Wahnsinn, in dem wir uns befinden"

Wienerberger-Chef Heimo Scheuch: "Die EU gibt es derzeit nicht mehr"
Wienerberger-Chef Heimo Scheuch: "Die EU gibt es derzeit nicht mehr"Die Presse/Fabry
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Unternehmer drängen darauf, der Wirtschaft möglichst rasch wieder Leben einzuhauchen. Die Rückkehr zur Normalität werde nicht nur Monate, sondern Jahre dauern.

Um die Coronavirus-Epidemie einzudämmen, hat die Regierung die Wirtschaft lahmgelegt. "Wir sind in einer Situation, die es in keinem volkswirtschaftlichen Lehrbuch je gegeben hat - das Risiko ist brutalst eingeschlagen", umriss der CEO des Telekomanbieters Magenta, Andreas Bierwirth, in einer digitalen Pressekonferenz mit anderen Firmenchefs am Dienstag die dramatische Lage.

Die Unternehmer drängen unisono darauf, der Wirtschaft möglichst rasch wieder Leben einzuhauchen. Am massivsten von der Corona-Krise betroffen seien der Handel (mit Ausnahme des Lebensmittelhandels), die Automobilindustrie sowie Gastgewerbe und Hotellerie, sagte Peter Bartos, Partner der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft BDO Austria, im Zuge der Veranstaltung, die gemeinsam mit dem Finanznachrichtenportal "Der Boersianer" ausgerichtet wurde.

"Wir brauchen eine Perspektive, wann die Einschränkungen gelockert werden können", betonte Oberbank-Generaldirektor Franz Gasselsberger. Es sei wahrscheinlich allen bewusst ist, dass die Regierung hier nur temporär helfen könne und dass die Haftungen das Problem nicht an der Wurzel lösten. "Wir werden Steuereinnahmen brauchen, die Unternehmen brauchen Umsätze - das ist der erste Weg zurück in die Normalität", so der Banker.

Schnell wird das nicht gehen: "Die Rückkehr zur Normalität wird nicht nur Monate sondern Jahre dauern", ist sich Magenta-Chef Bierwirth sicher. Die Wirtschaft werde "auf einem deutlich niedrigeren Punkt" wieder hochfahren. Die Erholung wird seiner Einschätzung nach längere Zeit in Anspruch nehmen, als dies "nach Lehman", also der weltweiten Finanzkrise ab 2008/09, der Fall war.

Tempo gibt's dafür bei der Digitalisierung: "Wir sind uns einig, dass jetzt eine Digitalisierungsoffensive durch das Land stürmt", vermerkte der Start-up-Investor Michael Altrichter. "Wir sehen einen exorbitanten Sprung von 'offline' zu 'online'." Auch Oberbank-Chef Gasselsberger ist sich sicher, "dass die jetzige Situation ein Turbo für die Digitalisierung sein wird".

„EU gibt es nicht mehr"

Doch noch überwiegen die düsteren Szenarien: "Die EU gibt es derzeit nicht mehr - ich krieg zum Beispiel keinen einzigen Techniker von einem Land ins andere", berichtete der Chef des weltgrößten Ziegelkonzerns Wienerberger, Heimo Scheuch. "Hier sprechen wir von massiven Einschränkungen und das alles innerhalb von 48 Stunden - das ist der Wahnsinn, in dem wir uns befinden."

Der Konzernchef wünscht sich ebenfalls mehr Perspektive: "Wir haben keinen Exit-Plan, wir haben keinen Plan für die Zeit danach." Menschen, die gesund seien und die arbeiten wollten, solle man arbeiten lassen. "Sonst haben wir in Österreich nicht nur Hunderttausende Arbeitslose, sondern über eine Million." Man müsse "aus der Panikmache rauskommen und einen Schritt in Richtung Normalität gehen".

Es werde nur über den "staatlichen Kuchen" diskutiert - "zuerst muss man mal das Geld haben und dazu muss es Arbeit geben", plädierte auch Scheuch für eine zügige Wiederbelebung der Wirtschaft. Diesbezüglich sei er "glücklich darüber, dass man in Österreich die Baustellen wieder öffnen darf". Das Land brauche "ein wirtschaftlich intaktes System".

Die Rechnung werde eine sehr hohe sein. "Ich spreche von einem Wiederaufbau, der notwendig sein wird", sagte der Wienerberger-Chef. Denn der aktuelle Eingriff "ist massiv, er ist weltweit und er ist nachhaltig". Die Gesundheit sei das oberste Gut - man müsse aber auch darauf achten, "dass es ein Wirtschaftssystem geben muss, das funktioniert".

Bei der Rückkehr zur Normalität zählt den Firmenchefs und Unternehmern zufolge jeder Tag: "Die Revitalisierung der Wirtschaft, die auch an die Herz-Lungen-Maschine muss, wird immer anstrengender", strich Bierwirth hervor. Man könne freilich auch nicht die Menschen zurücklassen, um die Wirtschaft zu retten. "Das ist eine ethisch ganz schwierige Situation."

Jede Krise sei gleichzeitig eine "disruptive Entwicklung", so Altrichter. "Trotz der angespannten Situation, die für uns alle sehr schwer ist, sollten wir einen positiven Blick in die Zukunft haben."

McKinsey: Erholung könnte Jahre dauern

Wenn es gelingt, die Ausbreitung des Covid-19-Virus innerhalb von zwei bis drei Monaten einzudämmen und die Maßnahmen zum Schutz der Unternehmen einigermaßen erfolgreich sind, dann dürfte sich die Wirtschaft der Eurozone bis zum ersten Quartal 2021 wieder auf das Niveau vor der Krise erholt haben - das hat das Beratungsunternehmens McKinsey berechnet.

Chinas Wirtschaftsleistung könnte diesem Szenario zufolge bereits im dritten Quartal dieses Jahres an jene vor der Krise anschließen, die USA und der Rest der Welt könnten im Schlussquartal 2020 soweit sein, sagte Knut Alicke, Partner im Stuttgarter Büro von McKinsey, am Dienstag in einer Online-Pressekonferenz.

Die Wirtschaft der Eurozone wird dieser Modellrechnung zufolge am schwersten zu leiden haben: Die Wirtschaftsleistung wird hier im zweiten Quartal 2020 um 9,5 Prozent geringer ausfallen als im Schlussquartal 2019. Im Gesamtjahr wird die Wirtschaft der Eurozone um 4,4 Prozent schrumpfen. Chinas BIP würde demnach heuer um 0,4 Prozent geringer ausfallen als im Vorjahr, jenes der USA um 2,4 Prozent und die globale Wirtschaftsleistung würde um 1,5 Prozent schrumpfen.

Wenn die Regierungen nicht rasch und entschieden genug reagieren und der "Lockdown" noch mehrere Monate anhält, sieht das Bild noch viel düsterer aus, "dann gibt es eine Rezession, aus der es schwer ist wieder herauszukommen", so Alicke. In diesem Fall würde die Wirtschaft der Eurozone bis zum dritten Quartal 2023 brauchen, bis sie sich vollständig erholt hätte, so die McKinsey-Experten.

Zeitversetzter Effekt

Auf die einzelnen Branchen und Sektoren wirkt sich die Coronavirus-Krise unterschiedlich aus. So sei im Bereich der Logistik die Nachfrage nach Lkw-Transporten zunächst stark gestiegen, berichtete Alicke, "aber das wird sich wieder normalisieren". Problematisch sei es bei der Luftfracht, weil 50 bis 60 Prozent der Frachtkapazitäten auf Passagierflugzeuge entfallen würden, die derzeit aber nicht fliegen. Die Nachfrage der Verbraucher habe sich stark in den Online-Bereich verschoben: "Die E-Commerce-Unternehmen suchen teilweise händeringend nach Mitarbeitern."

Besonders stark getroffen seien die Autobranche, der Tourismus und die Luftfahrt. In der Autoindustrie werde die Nachfrage heuer um ein Viertel zurückgehen, längerfristig werde sich der Strukturwandel zur Elektromobilität beschleunigen, glaubt Alicke. In Tourismus und Luftfahrt werde die Erholung besonders lange dauern, weil die Nachfrage vorerst niedrig bleiben werde.

Vergleichsweise gering sei die Nachfrage nach Pharmazeutika und medizinischen Produkten betroffen, außer bei Produkten wie Desinfektionsmittel oder Schutzmasken. Außerdem gebe es hier relativ hohe Lagerbestände, sodass die Lieferketten nicht abreißen würden, erklärte Alicke.

Anders sehe es in der Autoindustrie aus, wo es einen zeitversetzen Effekt gebe. "Wenn ein Zulieferbetrieb in China seit Mitte Jänner nicht produziert, merkt man das in Europa Mitte März", denn es werde sehr viel über Seefracht geliefert und die Container seien vier bis sechs Wochen unterwegs.

Für die Textilindustrie gebe es zusätzlich das Problem der Saisonalität. Weil die Seefracht vier, sechs oder acht Wochen unterwegs sei, könne man viele Produkte später nicht mehr verkaufen - nämlich auch jene Lieferungen nicht, die bereits unterwegs seien.

Beschleunigen werde sich wohl auch die Digitalisierung der Unternehmen, sagte Alicke, denn nur so könnten sie in Szenarien planen und weiter vorausschauen. Unternehmen, die noch "Excel-Listen herumschicken, stehen immer fünf Zentimeter vor der Wand und hoffen, dass der nächste Tag nicht irgendwelche Horrormeldungen bringt".

Gegentrend zur Globalisierung

Zu erwarten sei auch, dass die Produzenten künftig größere Reserven in ihren Lieferketten haben werden, ähnlich, wie es bei den Kapitalreserven der Banken nach der Finanzkrise passiert sei. Wie in der Pharmaindustrie seien auch in anderen kritischen Branchen gesetzliche Reserve-Vorgaben denkbar. Der Trend der letzten Jahre zu einem einzigen Zulieferer könnte sich nun umkehren, um die Ausfallssicherheit zu erhöhen.

Ein Gegentrend zur Globalisierung, also eine Re-Nationalisierung bzw. Re-Regionalisierung der Wirtschaft sei schon seit Jahren zu beobachten, sagt Alicke. "Dieser Trend hat schon eingesetzt und wird durch die Covid-19-Krise verstärkt." Viele Unternehmen würden regionale Strukturen aufbauen. Das müsste nicht zwangsläufig eine Verteuerung der Produkte zur Folge haben. "Die Lohnkosten-Unterschiede zwischen China und Osteuropa oder Mexiko sind nicht mehr so groß."

Wichtig sei es, beim Wiederhochfahren der Produktion wegen der langen Lieferwege die Lieferanten rechtzeitig zu informieren, betonte Alicke.

(APA)

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