Gastkommentar

Corona-Krise: Die Gefahr eines einzigen Narrativs

In Österreich hat sich nach gut zwei Wochen Kontakt-, Mobilitäts- und Wirtschaftsbeschränkungen ein gemeinsames Narrativ gebildet. Wo bleibt der lebhafte Diskurs zu vielen Fragen der aktuellen Einschränkungen?

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Den Satz „das darf man jetzt öffentlich nicht mehr sagen“, habe ich allein gestern drei Mal gehört. In den Gesprächen ist es um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen der Regierung in Bezug auf die in Österreich wie auch weltweit aktuellen Sterberaten bedingt durch Covid-19 gegangen.

Es scheint, als hätte sich in Österreich nach gut zwei Wochen Kontakt-, Mobilitäts- und Wirtschaftsbeschränkungen und (Vor-)Sorgeaktivitäten in und für unser Gesundheitssystem bereits ein gemeinsames Narrativ gebildet und anderes darf nur mehr hinter vorgehaltener Hand oder im vertraulichen Zweiergespräch besprochen werden. In welchem Land leben wir, dass es anscheinend keinen lebhaften Diskurs zu vielen Fragen der aktuellen Einschränkung von Freiheitsrechten zu geben scheint?

Wir haben uns vor zwei Wochen vielleicht zu unreflektiert in eine demokratiepolitisch bedenkliche Situation begeben (hier teile ich die Ansichten von Rainer Nowak in seinem Leitartikel vom 28.3.2020), natürlich - und das ist wichtig - in unserer Sorge um Menschen, die durch Covid-19 besonders gefährdet sind und sterben könnten und können. Es ist unsere gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, unsere Zukunft auf Mitgefühl und Verantwortung füreinander aufzubauen. Die Bilder aus Italien und aus Spanien, die uns jetzt fast täglich gezeigt werden, tun uns allen im Herzen weh und führen uns das Leid vieler Menschen vor Augen.

Sabine Pelzmann.
Sabine Pelzmann.(Michael Schaffer-Warga

Einseitige Berichterstattung

Die Entscheidungen, die unsere Regierung jetzt trifft, sind keine einfachen ("Ich schätze das Krisen- und Kommunikationsmanagement unserer Regierung!"). In komplexen Situation zu steuern, ist herausfordernd, doch eine Übersteuerung in komplexen Situationen hat fatale Auswirkungen (System Dynamics) und eine Untersteuerung bewirkt kaum etwas.

Mir macht die für mich einseitige Berichterstattung Sorgen, es wird wenig über Alternativen (Schweden, Bulgarien, etc.) berichtet. Ich finde es angstverstärkend, dass in der Berichterstattung immer wieder die absoluten Zahlen von Toten oder die Anzahl von Toten in einer logarithmischen Skala dargestellt werden.

Für mich ein guter und pramatischer Wegweiser in dieser Zeit ist das Buch "Factfulness" von Hans Rosling (Professor für internationale Gesundheit am Karolinska Institutet und Gründungsmitglied von Ärzte ohne Grenzen in Schweden). Er plädiert darauf, zu den Fakten zurückzukehren und uns nicht zu einer Weltsicht verführen zu lassen, die nicht der Realität entspricht (das Buch Factfulness wurde vor der Corona Situation geschrieben!).

Als Gesellschaft ist es wichtig, den Diskurs zum Umgang mit unseren Grundrechten aufrecht zu erhalten und es ist wichtig Zukunftsszenarien für die Entwicklung und Ausbreitung von Covid-19 transparent zu machen. Doch genauso wichtig ist es, Zukunftsszenarien über unsere soziale, ökologische, ökonomische und demokratiepolitische Entwicklung darzustellen und diese Szenarien miteinander zu verschränken.

Die Autorin

Sabine Pelzmann ist integrative Unternehmens-beraterin, Coach, Bildhauerin und Autorin. Sie arbeitet als Lehrbeauftragte an mehreren Universitäten zu Leadership, Systemtheorie und Organisationsentwicklung. Sie leitet eine Unternehmensberatung in Graz und berät seit mehr als 20 Jahren Führungskräfte in Experten-, Verwaltungs-, Profit- und Non- Profitorganisationen bei der Konzeption und Umsetzung von Wandelprozessen und entwickelt reflexive Corporate Leadership Programme. www.pelzmann.org

Die aktuelle Situation ist sehr komplex und wir werden uns wahrscheinlich nach dieser Krise noch lange mit den politischen Entscheidungen dieser Situation und unseren eigenen Umgang damit beschäftigen. Dann können wir reflektieren, welche Entscheidungen, welches Verhalten, welche Art der Steuerung welche Folgen und Nebeneffekte nach sich gezogen haben (auf individueller, sozialer, ökologischer, ökonomischer und politischer Ebene).

Ich hoffe sehr, dass wir uns bis dahin offene Gespräche in dieser komplexen Situation erlauben.

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