Landkarten in Buchform

Die Kunst der Verortung

Um die Welt zu verstehen, helfen uns Landkarten, selbst jene, die uns in die Irre führen. Betsy Masons und Greg Millers famose „Kartenwelten“ versammeln kartografische Schätze, auch um unsere volatile Sicht auf das Ganze zu zeigen.

Wie eine Landkarte nach der Covid-19-Pandemie aussehen wird: Wir wissen es nicht. Die Hoffnung, dass sich das Virus nur auf einen Stadtplan begrenzen ließe, hatte sich schnell zerschlagen. Es wurde eine Weltkarte daraus. Ungeachtet dessen, was wir bereits erkennen  – Visualisierungen eines globalen Krankheitsverlaufs sind mehr als hilfreich. Als sich etwa in den 30ern des 19. Jahrhunderts die Cholera über Großbritannien ausbreitete, hätten die Karten des englischen Arztes John Snow Aufschluss bringen können, hätte man ihnen geglaubt – nicht erst Jahre später. Snow ging davon aus, dass Cholera durch Wasser übertragen werde, und erfasste alle Häuser der Opfer. Was der Nachwelt als ein „leuchtendes Beispiel der medizinischen Kartografie“ gilt, ist laut Betsy Mason und Greg Miller, den Autoren des schönen, detailreichen „Kartenwelten“-Bandes, eine komplexere Story. Denn auch ein anderer hatte geforscht und genauer kartiert, aber unter falschen Prämissen, nämlich im Zusammenhang mit Wetterwerten.

Erkenntnisstand zeigen, Irritationen einbauen

National Geographic Verlag

Hinter jeder Landkarte steht eine Geschichte über wissenschaftliches Interesse und Entdeckungsdrang, Ressourcengier und friedliche Absichten, über Fortschritt und Kunst. Einige Jahre lang haben Mason und Miller in Archiven gegraben. Quer durch die Epochen der Kartografie illustrieren sie in ihren mit dem ITB BookAward 2020 ausgezeichneten „Kartenwelten“ den Geist, dem sie entsprangen, ohne aber eine lückenlose Geschichte der Kartografie erzählen zu wollen. Das Schlaglicht liegt asynchron auf besonderen Karten, die den jeweiligen Erkenntnisstand zeigen, mitunter aber auch Irrtümern aufsitzen, so wie die Erde eben lang eine Scheibe war.Eher selten wird Kartografie bewusst zum strategischen Instrument der Irritation, wie bei den Sowjets, belegt: „Die Regierung verfälschte veröffentlichte Karten absichtlich. Sie fügte wahllose Abweichungen ein, die sie für die Navigation unbrauchbar machten“, schildern Mason und Miller. Zugleich enthielten diese Karten eine Fülle an Details, auch Marginalien wie Baumarten oder Baumaterial der Häuser. Unbemerkt von der westlichen Welt waren sie wohl auf Basis von Luftaufnahmen entstanden und lieferten lange Basisinfos über wenig erschlossene Gegenden.

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